Claudia Neumann

Wenn es plötzlich um Leben und Tod geht

Trier. Manchmal fühlt sich schon ein schlechter Haarschnitt wie ein Drama an – bis man Menschen begegnet, die mit echten Schicksalsschlägen kämpfen. Ein Besuch beim Förderverein krebskranker Kinder zeigt, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Dietmar Mattes und Rudy Beys.

Dietmar Mattes und Rudy Beys.

Bild: Elke Specht

Schon wieder habe ich beim Discounter das Schnäppchen verpasst! Der Nachbar guckte auch so komisch heute, hab ich dem was getan? Beim Blick in den Spiegel dann der pure Horror: die Frisur sitzt nicht und mein Lieblingsfriseur hat keinen Termin frei!Eins ist klar: Das Leben ist ein Jammertal und mir geht’s am allerschlechtesten von allen.

Begegnung mit dem Förderverein
Angekommen beim Förderverein krebskranker Kinder, im Gespräch mit Rudy Beys und Dietmar Mattes, beginnt mir zu dämmern, dass meine Probleme eventuell nicht wirklich den Stellenwert haben, den ich ihnen beimesse.
„Wenn für ein Kind die Diagnose Krebs gestellt wird, fällt die ganze Familie in einen Schockzustand“, berichtet Dietmar Mattes aus langjähriger Betreuungserfahrung. „Oft müssen die Menschen in dieser Phase erstmal reden, um den Schock zu verarbeiten und die neue Situation zu realisieren. Dann geht es weniger darum, praktische Hilfe anzubieten, dann hören wir erstmal nur zu“, erklärt Beys.
Im Gespräch finden viele schon den ersten Trost und später praktische Hilfe und finanzielle Unterstützung. Seit 36 Jahren engagieren sich Vereinsvorsitzender Rudi Beys, 70, Finanzleiter Dietmar Mattes, 64, sowie zwölf weitere Vorstandsmitglieder ehrenamtlich dafür, Familien durch die schwere Zeit nach einer Krebsdiagnose zu begleiten.

Unterstützung mit Herz und Verstand
Die finanzielle Unterstützung krebskranker Kinder und ihrer Angehörigen setzt da an, wo Behörden und Krankenkassen nicht zahlen, weil, so Beys, „die tatsächlichen Bedürfnisse in der Erstattung oft nicht abgebildet werden.“
Ein Beispiel: „Die Krankenkassen erstatten Fahrten ins Krankenhaus, aber nur dann, wenn der Patient dabei ist. Da es in Trier keine Kinderkrebsstation mehr gibt, muss der Vater, der nach der Arbeit sein Kind sehen möchte, von Trier nach Koblenz fahren, wo das nächste spezialisierte Krankenhaus ist. Neben der Fahrtzeit hat er auch beträchtliche Benzinkosten zu tragen, die ihm niemand zahlt.“

Segeln für kranke Kinder und ihre Geschwister
Doch sind diese Hilfen noch lang nicht alles, was der Verein auf die Beine stellt. Das Projekt „Sailing Kids“ bringt die erkrankten Kids auf eine Segelfreizeit. Begleitet von einem Team aus Arzt, Krankenschwester und Vorstandsmitgliedern des Fördervereins erleben die Kinder unvergessliche Tage auf See. „Bewusst laden wir dazu auch die Geschwisterkinder ein“, so Mattes.
Der Grund: Brüder und Schwestern der kranken Kinder bekommen zwangsläufig während der Krankheitsphase weniger Aufmerksamkeit als gewohnt. So sind die Segeltörns ein wunderbares Erlebnis und ein kleiner Ausgleich für die Geschwisterkinder.

Mit Robotern zurück ins Klassenzimmer
Ein weiteres faszinierendes Projekt ermöglicht krebskranken Kindern die Teilnahme am Schulunterricht – direkt aus dem Krankenzimmer heraus.
Eine der segensreichen Seiten der Digitalisierung besteht in einem kleinen Roboter, der auf den Platz gestellt wird, an dem normalerweise das Schulkind sitzt. Vor der ersten Schulstunde wird der Avatar, namens „AV1“, eingeschaltet und das kranke Kind kann alles, was im Klassenraum gesprochen wird, mithören und dank eines 360° Rundumblicks die Lehrer und Mitschüler auch sehen.
Das Kind kann sich über den Avatar melden und sich mündlich am Unterricht beteiligen. Die Mitschüler können es hören, aber nicht sehen.
Eine geniale Erfindung, die es schwerkranken Kindern ermöglicht, die soziale Isolation und die Einsamkeit während eines Krankenhausaufenthaltes oder zu Hause zu vermindern. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach den acht Avataren, die der Verein kostenlos zur Verfügung stellt.

Warum Engagement so wichtig ist
Leben mit dem Krebs, in einem Alter, wo Spielen, Lernen, Familie und Freunde im Mittelpunkt stehen sollten, später dann Liebe und Sexualität wichtig werden. Auf all das verzichten zu müssen und sich stattdessen einer Therapie mit ungewissem Ausgang zu unterziehen, ist für das Kind und die Angehörigen eine harte Aufgabe, die das Leben stellt.
Deshalb sind Initiativen wie dieser Verein sie durchführt so wichtig. Neben finanzieller Unterstützung, z.B. durch Spenden, besteht auch die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Aktuell wird ein Social Media Manager gesucht, der die Sichtbarkeit des Vereins auf Facebook, Instagram und Co sicherstellt und erhöht. Gutes und Sinnvolles tun und gleichzeitig den Lebenslauf aufpeppen – so lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Ein neuer Blick auf die eigenen Sorgen
Meine eingangs erwähnten hochdramatischen Probleme vom verpassten Schnäppchen bis hin zur schlechtsitzenden Frisur haben sich übrigens nach dem Gespräch mit Rudy Beys und Dietmar Mattes wie von Zauberhand in Luft aufgelöst. Stattdessen bin ich dankbar. Dankbar dafür, gesunde Kinder zu haben und selbst gesund und am Leben zu sein. Außerdem schäme ich mich ein bisschen dafür, mich über derart Nebensächliches aufzuregen, während andere Situationen durchleben und bewältigen, bei denen es manchmal um Leben und Tod geht.

Kontakt:

Förderverein krebskranker
Kinder Trier
Matthiasstraße 55
54290 Trier
Telefon 0651/ 36104
info@foerderverein-trier.de
www.foerderverein-trier.de

Text: Elke Specht


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