Klaus Desinger

Lebenshilfe Idar-Oberstein: Dem Leben wieder Struktur geben

Idar-Oberstein. Der WochenSpiegel war zu Besuch im Gemeindepsychiatrischen Zentrum und hatte Gelegenheit, hinter die Kulissen zu schauen.

Michael Prinz von der Lebenshilfe leitet seine Schützlinge bei handwerklichen Arbeiten in der Holz- und Tonwerkstatt an.

Michael Prinz von der Lebenshilfe leitet seine Schützlinge bei handwerklichen Arbeiten in der Holz- und Tonwerkstatt an.

Bild: Klaus Desinger

Ein selbst gebauter Springbrunnen plätschert im Außenbereich, der wie eine kleine Oase für die Besucher der Tagesstätte der Lebenshilfe wirkt. Hier tauschen sie sich aus, klönen, rauchen, grillen ab und an. Melanie ist 41 Jahre alt. Sie kam aus Duisburg der Liebe wegen nach Idar-Oberstein. Und auch, um aus einer Hölle aus Vergewaltigung, Selbstverletzung und Depressionen zu fliehen. Mit 16 ist sie von Zuhause weg, es folgten eine Ehe, vier Kinder, die bei der Stiefmutter leben. Ihr Erzeuger und später der Stiefbruder hätten Melanie als Kind missbraucht. Beim Spülen zertrümmerte Melanie schon mal ein Glas, um sich absichtlich zu verletzen. »Ich wusste damals nichts von Borderline, habe durch eine Freundin davon gehört«, erinnert sie sich. Während eines stationären Aufenthalts lernte sie über Facebook eine Frau aus Idar-Oberstein kennen und lieben. Die beiden zogen zusammen und besuchen nun die Tagesstätte der Lebenshilfe. Melanie ist trotz ihres jungen Alters seit fünf Jahren Rentnerin. Aufgrund einer Angststörung könne sie nicht allein Busfahren oder einkaufen.

"Hatte Angst, dass die Leute mich angucken"

»Ich habe Angst, dass die Leute mich angucken«, sagt Melanie, die durch zahlreiche Tattoos und Piercings freilich auffällt. »Ohne Tabletten konnte ich nicht mehr schlafen«, sagt die junge Frau, die auch auf Antidepressiva angewiesen ist. Seit 2018 besucht Melanie gemeinsam mit ihrer Frau das Gemeindepsychiatrische Zentrum (GPZ) der Lebenshilfe. Hier erlebt sie einen geregelten Alltag mit Struktur. »Besser, als zuhause rumgammeln«, meint sie. In der Bahnhofstraße wird zusammen gefrühstückt, Mittagessen gekocht oder Kreatives angefertigt. Tages-Ausflüge an die Mosel, in den Tierpark oder ins Freibad sorgen für Abwechslung, ebenso sportliche Angebote wie Rückengymnastik, Schwimmen, Fahrradfahren oder Autogenes Training. Die Mitarbeiter/innen unterstützen die Besucher auch beim Ausfüllen von Formularen oder geben Tipps für Behördengänge. Die beiden Sozialpädagoginnen Sabrina Uebel und Andrea Zahn kümmern sich mit zwei Mitarbeitern um die derzeit 17 Tagesbesucher, die in der Regel von 8 bis 14 Uhr einchecken.

Erwachsene Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

Erwachsene Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, Schizophrenie, die alle wenig bis gar nicht belastbar sind. Auf deren Bedürfnisse wird eingegangen, beim Erstellen des Monatsplans oder Auswahl der Ausflugsziele. In einem Ruheraum können die Tagesgäste abschalten. Im Gruppenraum kann gelesen werden, manche spielen Darts, Getränke stehen bereit. Um Punkt 12 gibt‘s Mittagessen. Unter Anleitung lernen hier die Besucher, lecker und gesund Speisen zuzubereiten, wozu auch der Einkauf der Lebensmittel gehört. Außerdem gibt es verschiedene Beschäftigungsräume, wo sich die Besucher in unterschiedlicher Weise betätigen können. Eine ältere Dame versucht sich mit Seidenmalerei, zwei Männer basteln Grußkarten. Wieder andere sägen, bohren und werkeln mit Holz oder Ton. Die daraus entstehenden Produkte, wie Holzfiguren, Tassen, Teller, Schüsseln, Seifen und Glückwunschkarten, werden auf Weihnachtsmärkten oder im kleinen Dorfladen in Hottenbach feilgeboten, Erlöse kommen den gemeinnützigen Zwecken der Lebenshilfe zugute. »Kontinuierliche Beschäftigung tut gut, es gibt hier aber keinen Akkord«, schmunzelt eine Mitarbeiterin.

"Man kann sich hier Zeit lassen"

Man kann sich Zeit lassen. Die Menschen kommen teilweise nur für wenige Monate, manche sind schon seit 15 Jahren an Bord. Teilnehmen darf man ab 18 Jahren, manche sind noch im Rentenalter dabei. Für flauschiges Seelenheil sorgt Hund Gandhi, den alle Besucher/innen ins Herz geschlossen haben. Er ist kein Therapiehund, verhält sich aber genauso und sei wichtig für Herz und Seele der Besucher. Zurück zu Melanie. Gemeinsam mit ihrer Frau tätowieren sie sich gegenseitig. Der Schmerz dabei baut Druck ab. Schriftzüge wie »The Walking Dead«, »Stay Strong« oder »Hate« sind auf ihrem Körper ersichtlich, dazu die Namen ihrer Kinder, aber auch eine Schildkröte und ein Monster. Ritzen würden sie allerdings nicht mehr und auch keinen Alkohol trinken. Treffen kann es jeden von uns - jeder der Tagesstätten-Besucher hat sein eigenes, oft schreckliches Schicksal. Unter ihnen ist auch ein selbständiger Geschäftsmann, der während eines Urlaubs schwer erkrankte und dessen Leben sich dadurch bis heute komplett veränderte. Andere kommen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, oft verbunden mit Bindungsstörungen, Depressionen und Ängsten. Sozialpädagogin Andrea Zahn steht künftig auch für die Kontakt- und Beratungsstelle vor Ort zur Verfügung. »Die Psychiatrien sind voll, ob im Kinder, Jugend- oder Erwachsenenbereich. Wir haben Kapazitäten für die Zeit danach«, sagt sie.

Das sind die Angebote der Lebenshilfe:

Das Gemeindepsychiatrische Zentrum ist eine tagesstrukturierende Einrichtung für Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen. Es gehört zur ambulanten psychiatrischen Versorgung des Landkreises Birkenfeld. Es gibt drei Angebote: Die Tagesstätte, die Kontakt- und Beratungssstelle als Ort der Begegnung und das betreute Wohnen mit 7 Plätzen in Einzel-Appartments mit eigenem Bad und Küche. Künftig soll es ein offenes Frühstück, Einkaufsfahrten & Sozialberatung geben.


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