Mario Zender

Opfer soll selbst Schuld sein

Die umfangreichen Ermittlungen der Polizei Cochem wurden von einem Sachverständigen der »Dekra« (Foto) unterstützt. Der Gutachter stellte an dem Gebäude in Ernst fest, dass die bauliche Ausführung nicht wie vorgeschrieben erfolgt war. Trotz dieser Versäumnisse stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren ein.

Die umfangreichen Ermittlungen der Polizei Cochem wurden von einem Sachverständigen der »Dekra« (Foto) unterstützt. Der Gutachter stellte an dem Gebäude in Ernst fest, dass die bauliche Ausführung nicht wie vorgeschrieben erfolgt war. Trotz dieser Versäumnisse stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren ein.

Bild: Zender

Ernst. Eine junge Frau stürzte vom Dach und wurde schwer verletzt – seitdem ist sie querschnittsgelähmt. Der Unfall hätte durch bauliche Maßnahmen verhindert werden können. Zwei Gutachten belegen Pfusch am Bau des Jugendraums in Ernst. Verantwortlich gemacht wird dafür niemand.
Von Mario Zender
Zwei Gutachten der von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigen sprechen eine deutliche Sprache: Beim Bau des Jugendraums in Ernst wurden bauliche Vorgaben missachtet. Wären diese eingehalten worden, wäre es nicht zu dem tragischen Unfall gekommen.
Doch trotz klarer Aussagen der Gutachter hat die Staatsanwaltschaft Koblenz entschieden, kein Verfahren gegen die Verantwortlichen einzuleiten. Nach Recherchen des WochenSpiegel wurde das Ermittlungsverfahren vor wenigen Tagen eingestellt.
Ermittelt wurde gegen einen Architekten aus dem Landkreis Cochem-Zell wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen. Dazu äußert sich Oberstaatsanwältin Kirsten Mietasch: »Die Ermittlungen haben den Anfangsverdacht jedoch nicht bestätigt, sodass das Verfahren nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt wurde.«
Dabei hatten die Gutachter eindeutig festgestellt, dass gegen bauliche Vorgaben verstoßen wurde. Oberstaatsanwältin Mietasch erklärt: »An dem Fenster des denkmalgeschützten Gebäudes befand sich ein Notausstieg, der im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen zwischen 2007 und 2011 eingerichtet worden war. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten sowie einem ergänzenden Gutachten entsprach der durch den Beschuldigten geplante und errichtete Notausstieg nicht den allgemeinen Regeln der Technik.«
Warum dennoch niemand für das Unglück verantwortlich gemacht wird, erklärt die Oberstaatsanwältin so: »Selbst bei einem objektiven Sorgfaltspflichtverstoß kann eine strafrechtliche Verfolgung einer fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen aufgrund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ausgeschlossen sein. Diese ist dann anzunehmen, wenn ein Geschädigter ohne Notsituation, frei verantwortlich und in voller Kenntnis eines Risikos eine Gefahrensituation eingeht.«
Schuld wird Opfer zugeschoben
Das bedeutet: Die Staatsanwaltschaft sieht die Schuld des Unglücks beim Opfer. Oberstaatsanwältin Mietasch dazu: »Das Gefährdungspotenzial, den Notausstieg auch ohne Notsituation zur Nachtzeit und ohne ausreichende Sicherung zu betreten, musste sich hier jedoch aufdrängen.«
Nach weiteren Recherchen des WochenSpiegel wurde der Notausgang offenbar ohne Baugenehmigung errichtet. Auch eine offizielle Abnahme der Baumaßnahme durch die Bauabteilung der Kreisverwaltung Cochem-Zell hat es, nach Informationen des WochenSpiegel, nicht gegeben – obwohl der Umbau, beziehungsweise die Sanierung, mit erheblichen öffentlichen Mitteln bezuschusst wurde.
Ob das Unfallopfer diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft akzeptiert, bleibt abzuwarten. Ein weiterer Bericht folgt!

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