Stephanie Baumann

"Die Stadt ist keine One-Man-Show"

Wittlich. 2009 wurde Joachim Rodenkirch zum Bürgermeister der Stadt Wittlich gewählt und setzte sich mit fast 60 Prozent der Stimmen gegen fünf Mitbewerber durch. 92 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bestätigten ihn 2017 im Amt. 2025 stellt er sich erneut zur Wahl. Über seine Motivation, Erreichtes und neue Herausforderungen. . .

Will gemeinsam gestalten: Bürgermeister Joachim Rodenkirch bewirbt sich am 23. Februar um seine dritte Amtszeit in Wittlich.

Will gemeinsam gestalten: Bürgermeister Joachim Rodenkirch bewirbt sich am 23. Februar um seine dritte Amtszeit in Wittlich.

Bild: Stephanie Baumann

Wochenspiegel: Was motiviert Sie, erneut für das Bürgermeisteramt in Wittlich zu kandidieren?


"Ein wesentlicher Antrieb ist für mich das Vertrauen und die Wertschätzung der Bürgerinnen und Bürger. Ich habe gesehen, dass sie erkennen, was wir gemeinsam erreicht haben. Ich freue mich über viele erfolgreiche Projekte, die uns gemeinsam gelungen sind. Die Stadt ist ja keine One-Man-Show, sondern lebt vom Engagement vieler Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen, ob im Ehrenamt oder Hauptamt, in den Gremien und auch in der Verwaltung mit mittlerweile 340 Mitarbeitenden."

Kino, Eventum, WILávie, neue Plätze, Kitas und Wohngebäude in der Innenstadt, das Lieserufer und - kurz vor der Fertigstellung - das neue Schwimmbad. . . Die Bilanz der vergangenen 16 Jahre ist beeindruckend. Worauf kann die Stadt Wittlich besonders stolz sein?


"Darauf, dass wir Prozesse so gestalten konnten, dass sie zu konkreten Ergebnissen führen. Wir leben in einer Zeit, in der oft nur Gegensätze betont werden, ohne dass es zu Lösungen kommt. Mein Ziel war es stets, das Verbindende zu finden und einen gemeinsamen Nenner zu schaffen, auf den sich alle verständigen können - um den Weg dann auch gemeinsam zu gehen. Ein gutes Beispiel dafür ist z.B. die Neugestaltung des Synagogenplatzes, der eine wichtige historische und kulturelle Dimension hat. Ebenso das Projekt Casa Tony M., mit dem wir kulturell neue Akzente setzen konnten. Solche Entwicklungen zeigen, wie viel wir gemeinsam erreichen können."

Welche Projekte oder Momente haben Sie besonders geprägt?


"Ein besonderes Highlight ist der Meistermann-Preis. Dadurch konnten wir Persönlichkeiten wie Hans-Dietrich Genscher, Herta Müller, Wolfgang Niedecken oder Jean-Claude Juncker nach Wittlich holen. Solche Veranstaltungen würden jeder Großstadt gut zu Gesicht stehen - inhaltlich wie organisatorisch. Aber ich denke auch an die vielen herausragenden Kulturveranstaltungen und das unermüdliche Engagement unserer Vereine. Kunst und Kultur müssen Menschen begeistern und inspirieren. Ich glaube, das ist uns in der Vergangenheit sehr gut gelungen."

Wir befinden uns in einer hektischen, schnelllebigen Zeit. Kommt die Freude über das Erreichte manchmal zu kurz?


"Ja, das stimmt. Die enorme Beschleunigung unseres Alltags lässt uns oft kaum Raum, innezuhalten. Für mich liegt die größte Freude darin, Projekte mit den Menschen zu verbinden, mit denen sie gemeinsam umgesetzt wurden - sei es in den Gremien, der Verwaltung oder durch die Arbeit von Handwerksbetrieben. Viele Vorhaben erforderten zunächst Überzeugungsarbeit. Wer hätte damals gedacht, dass an den Orten der ehemaligen Maschinenfabrik Merrem und Knötgen, des Postzustellzentrums und des alten Sportplatzes heute WILàvie, Eventum und ein Kino stehen würden?"

Welche zentralen Themen stehen in den kommenden Jahren für Wittlich auf Ihrer Agenda?


"Die wichtigsten sind sicherlich Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Digitalisierung, Migration und Demografie. Klimaschutz zum Beispiel ist ein Marathonlauf. Wir sind gestartet, brauchen aber einen langen Atem und müssen mit nachhaltigem Eifer dranbleiben, die Dinge auch umzusetzen. Gerade arbeiten wir mit den Stadtwerken Trier an der Gründung einer Gesellschaft, um Windkraft auf dem Gebiet der Stadt Wittlich zu etablieren. Wichtig ist mir dabei, dass auch die Bürgerinnen und Bürger davon profitieren können. Zudem treiben wir Dach-Photovoltaik voran und haben eine umfassende Wärmeplanung auf den Weg gebracht. In vertiefenden Studien prüfen wir, wo Nahwärmekonzepte realisierbar wären. Das treibt mich an. Hier müssen wir weiterkommen. Jede Kommune, jede Person und jedes Land muss einen Beitrag leisten."

Gibt es bereits spruchreife Projekte in Wittlich, die im Bereich Klimaschutz umgesetzt werden?


"Ja, es sind bereits einige energetische Sanierungen in unseren Schulen und Kitas realisiert worden. Weitere sind in der Umsetzung.  Die Wärmeplanung läuft auf Hochtouren, und damit sind wir eine der wenigen Kommunen, die diesen Schritt schon gegangen sind. Wir führen auch Gespräche mit Industriebetrieben und werden einen Klimaanpassungsmanager einstellen. Ein weiteres Projekt ist das Batteriespeicherwerk, das aktuell im Baugenehmigungsverfahren steckt. Auch hier bin ich optimistisch, dass wir alles gut in die Umsetzung bringen."

Und wie sieht es bei der Digitalisierung aus?


"Auch dort haben wir als Verwaltung bereits viel vorangebracht. Gleichzeitig wissen wir, dass wir uns in einer Art Übergangsphase befinden. Natürlich müssen wir die Digitalisierung weiter forcieren und auch die Chancen der Künstlichen Intelligenz nutzen. Dabei dürfen wir die Risiken nicht aus den Augen verlieren - hier kommen schnell auch philosophische und ethische Fragen auf. Es ist unsere Aufgabe, einen barrierefreien Zugang zur Verwaltung zu schaffen, der sowohl analogen als auch digitalen Menschen gerecht wird. Dieser Spagat ist anspruchsvoll, aber wichtig. "

Täglich erreichen uns Hiobsbotschaften aus der deutschen Wirtschaft. Wie geht es dem Wirtschaftsstandort Wittlich?


"Das ist tatsächlich schwer einzuschätzen. Im Moment haben wir ein gutes Gewerbesteueraufkommen, was vielleicht auch mit der internationalen Ausrichtung vieler unserer Unternehmen zusammenhängt. Unsere Handwerksbetriebe sind gut aufgestellt, leiden aber auch unter dem hohen Kostendruck und der zunehmenden Bürokratie. Was uns als Standort auszeichnet, ist der breite Branchenmix. Das verschafft uns eine gewisse Resilienz gegenüber wirtschaftlichen Schwankungen."

Und wie geht es dem "Sorgenkind Innenstadt"?


"Ich glaube fest an die Zukunft der Innenstadt, auch wenn sie sich in einer ganz veränderten Form entwickeln wird. Durch das Innenstadtentwicklungskonzept und die Schaffung von Wohnraum haben wir die Einwohnerzahl in der Innenstadt in den letzten 10 Jahren bereits verdoppelt. Und es wird noch mehr Wohnraum entstehen, etwa im Bereich Kaienburg. Ich bin überzeugt: Wo Menschen leben, entwickelt sich auch ein Handel - auch wenn er sich an veränderte Bedürfnisse anpassen muss. Und weitere Herausforderungen haben wir vielleicht noch gar nicht so im Fokus."

Welche Herausforderungen meinen Sie?


"In unserer Stadt leben Menschen aus 99 Nationen. Migration und Flucht sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft zunehmend heterogener wird. Ich sehe diese Vielfalt als eine große Chance, aber sie muss auch aktiv genutzt werden. Wenn ich z.B. an unsere Grundschulen denke, ab denen der Migrationsanteil bei 80 Prozent und mehr liegt, dann ist das eine echte Herausforderung. Ein gutes Beispiel für einen Lösungsansatz ist das Familiengrundschulzentrum ‚FamOS' als Pilotprojekt. Dort wird ein komplett neues Konzept umgesetzt, etwa mit altersübergreifendem Unterricht und zusätzlichem Personal. Besonders spannend finde ich, dass wir die Eltern durch gemeinsame Aktivitäten stärker einbinden. Das fördert nicht nur den Austausch, sondern wird zu einem integralen Bestandteil der Bildung. Es geht darum, sprachliche Zugänge zu schaffen und den Kindern echte Chancen zu bieten. Jüngere lernen von Älteren - das fasziniert mich wirklich und zeigt, wie man diesen Herausforderungen begegnen kann. Aber das darf nicht allein an den Lehrkräften hängenbleiben. Wir als Gesellschaft insgesamt müssen nah dran bleiben und sind hier gefordert."


Was bedeutet es konkret, die Gesellschaft ‚nah dran' zu halten, und welche Rolle können Kommunen dabei spielen?


"Hier beschäftigt mich auch die demografische Entwicklung ganz besonders. Deutschland gehört zu den wenigen Gesellschaften weltweit, in denen wir bald mehr Ältere als Jüngere haben werden. In Wittlich stehen derzeit rund 60 Prozent der 20- bis 65-Jährigen im Arbeitsleben. In den nächsten 15 Jahren wird sich dieser Anteil auf etwa 50 Prozent reduzieren, während der Anteil der über 65-Jährigen auf über 30 Prozent ansteigt. Als Stadtgesellschaft müssen wir reagieren und überlegen, wie wir uns diesen demografischen Tatsachen stellen. Welche Angebote brauchen wir für ältere Menschen? Wie gestalten wir Mobilität, Bildung und Teilhabe in einer alternden Gesellschaft? Besonders wichtig finde ich hier intergenerative Ansätze wie beim ‚WILàvie', dem Mehrgenerationenhaus, Kinderschutzbund oder dem ‚Makerspace', wo Jung und Alt ihre Fähigkeiten einbringen und voneinander profitieren können. Solche offenen Angebote könnten ein Kernstück für die Zukunft unserer Stadtgesellschaft sein."


Was möchten Sie den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl am 23. Februar mit auf den Weg geben?


"Ich blicke voller Demut und Respekt auf das zurück, was wir gemeinsam erreicht haben. Es ist das Werk vieler Menschen, und darauf bin ich ungemein stolz. Dass ich in diesem Prozess eine Rolle spielen durfte, dafür bin ich sehr dankbar. Wittlich hat seit dem Jahr 1300 Stadtrechte. Ich sehe mich als Teil einer langen Reihe von Menschen, die hier Verantwortung getragen haben. Ich bin einer von ihnen - und habe nach wie vor den Anspruch, nicht zu verwalten, sondern weiter zu gestalten. Meine höchste Maxime ist das Gemeinwohl. Auch wenn es vielleicht ein wenig pathetisch klingt: "Suchet der Stadt Bestes!" - das gilt auch für zukünftige Generationen. Sorge bereitet mir, dass die Demokratie durch Autokraten und Populisten zunehmend bedroht ist und das weltweit. Wir müssen achtsam sein und aktiv für Demokratie, Meinungsfreiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Toleranz und Respekt eintreten. Denn das, was wir heute entscheiden, bestimmt, was morgen sein wird."


Ihre Prognose: Wie sieht Wittlich in zehn Jahren aus?


"In zehn Jahren sehe ich Wittlich weiterhin als prosperierendes ökonomisches Zentrum zwischen Trier und Koblenz. Es wird ein profilierter Kulturstandort sein, der für seine Vielfalt und Innovationskraft bekannt ist. Auch im Bereich Bildung wird Wittlich sich weiterentwickeln und zu einem Standort mit hochqualifizierten Schulen ausgebaut, die den Bedürfnissen der Zukunft gerecht werden. Zudem erwarte ich, dass die Einwohnerzahlen deutlich steigen werden, was unsere Stadt noch lebendiger und vielfältiger macht. Ich bin sicher, dass sich kommunale Strukturen den veränderten Lebenswirklichkeiten der Menschen anpassen werden und dies wird auch vor Gebietsgrenzen keinen Halt machen." Kurzum: Wittlich wird seinen Anspruch als Mittelzentrum in der Region weiter ausbauen und noch stärker profilieren zum Wohle der Stadt und des gesamten Umlandes."

Interview: Stephanie Baumann


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