Johannes Mager

War kein Eingreifen von oben erforderlich?

Ermittlungen zur Hochwasserkatastrophe: Staatsanwaltschaft sieht derzeit kein strafrechtlich relevantes Verhalten bei weiteren Personen als den beiden Beschuldigten.
Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt ermitteln zum Verhalten der handelnden Personen in der Flutnacht.

Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt ermitteln zum Verhalten der handelnden Personen in der Flutnacht.

Bild: Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler (Archiv)

Kreis. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat sich in einer Pressemitteilung zum aktuellen Stand des Ermittlungsverfahrens gegen den ehemaligen Ahrweiler Landrat Dr. Jürgen Pföhler und eine weitere Person wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt geäußert. Zuletzt hatte sie die Öffentlichkeit vor rund drei Monaten über den Ermittlungsstand unterrichtet. Demnach sind die bisher beabsichtigten Zeugenvernehmungen weitestgehend abgeschlossen. Die zuständige Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts setze derzeit die gewonnenen Erkenntnisse zu einem Bild der Ereignisse am 14. und 15. Juli 2021 zusammen, heißt es in der Pressemitteilung. Parallel dazu sollen Wissenschaftler diese Erkenntnisse hydrologisch überprüfen. »Soweit möglich, sollen die polizeilichen Erkenntnisse auch aus naturwissenschaftlicher Sicht ergänzt werden«, so der Koblenzer Leitende Oberstaatsanwalt Harald Kruse: »Ein Fokus der Ermittlungen liegt weiterhin auf der Frage, welche Erkenntnisse zu den späteren Entwicklungen entlang der Ahr zu welchen Zeiten den mit dem Katastrophenschutz gesetzlich betrauten Personen vorgelegen haben.« Für die strafrechtliche Beurteilung sei es wesentlich, welche Handlungspflichten zu welchen Zeitpunkten bestanden und welche konkreten Handlungsoptionen zur Verfügung standen, deren Ergreifen zur Vermeidung des Verlustes von Menschenleben geführt hätte.
Der Leitende Oberstaatsanwalt betont, dass für beide Beschuldigten die Unschuldsvermutung gelte. Außerdem betont er, dass sich bei den Ermittlungen bislang kein Anfangsverdacht gegen weitere Personen ergeben habe. Das gelte auch für die staatlichen Stellen, die dem Landkreis Ahrweiler übergeordnet sind. Es gebe derzeit keine Erkenntnisse dazu, dass diesen Stellen oder Mitgliedern der Landesregierung Informationen vorgelegen hätten, die – aus strafrechtlicher Sicht – ein Eingreifen dieser Personen erfordert hätten. Der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des Landtags zur Flutkatastrophe ließen eher darauf schließen, dass es an Informationen gefehlt habe. Hierbei stellt die Staatsanwaltschaft darauf ab, dass aus gesetzlicher Sicht bei fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung durch Unterlassen sowie auch bei unterlassener Hilfeleistung ein Vorsatz erforderlich sei. Fahrlässiges Handeln hingegen sei nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt.
Laut Staatsanwaltschaft liegt aus gesetzlicher Sicht kein Vorsatz vor, wenn jemand davon ausgeht, dass erforderliche Hilfsmaßnahmen von anderen Stellen ergriffen werden. »Der Staatsanwaltschaft Koblenz liegen bisher keine Hinweise darauf vor, dass (frühere) Mitglieder der Landesregierung oder andere Personen im Landesdienst davon ausgegangen sind oder nach ihrem Erkenntnisstand davon hätten ausgehen müssen, dass die für den Katastrophenschutz zuständigen Stellen nicht in der gebotenen Weise tätig werden würden«, so der Leitende Oberstaatsanwalt. Rund 75 Strafanzeigen seien bei der Staatsanwaltschaft mittlerweile eingegangen. Die meisten richteten sich gegen die beiden Beschuldigten, so Harald Kruse. Auch gegen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Landesinnenminister Roger Lewentz, die heutige Bundesfamilienministerin und ehemalige Landesumweltministerin Anne Spiegel sowie weitere (frühere) politische Verantwortliche in anderen Bundesländern oder im Bund seien Anzeigen erstattet worden.


Meistgelesen