Markus Bells Vision für ein lebendiges Ahrweiler
Ahrweiler. "In vier Wochen machen wir wieder auf." So dachte der Ahrweiler Gastronom Markus Bell kurz nach der Flutkatastrophe. Dass weder "Bells Restaurant" noch die anderen Gastronomiebetriebe und Geschäfte in der historischen Altstadt so schnell wieder öffnen werden, kristallisierte sich sehr bald heraus. "Dann dachten wir alle, den Weihnachtsmarkt in Ahrweiler schaffen wir. Heute denkt man schon in Halbjahresschritten", schildert Bell. Dass er weitermachen will, stand für ihn immer außer Frage. "Dafür habe ich zu viel Herzblut hier reingesteckt. Es ist auch quasi mein Geburtshaus", sagt er. Zudem habe er Verantwortung für seine Mitarbeiter. "Das Personal ist teilweise 15 bis 20 Jahre dabei. Selbst die Aushilfen sind meistens fünf bis sechs Jahre während des gesamten Studiums hier. Und ich brauche das Personal ja auch wieder", so Bell. Schon während der Corona-Zeit habe er das Personal gehalten. Kurz nach der Flut erhielt er von der Breuning GmbH, die das Anwesen Calvarienberg gekauft hat, das Angebot, die Küche zu reaktivieren und die dortigen Schüler, Kita-Kindern sowie andere Menschen zu bekochen. Somit, so Bell, könne er zumindest sein Team bezahlen. Der Aufbau der Küche auf dem Calvarienberg nahm einige Zeit in Anspruch, sodass er die neuen Pläne für sein Restaurant in der Niederhutstraße im September in Angriff nahm. "Freunde sagten, dass wir uns vier Wochen nach der Flut zusammenfinden und dann mit etwas Abstand gucken sollen", erzählt Bell.
Klar war: Es soll weitergehen. Klar war aber auch: Es muss anders weitergehen. Vor Ausbruch des Coronavirus waren rund 90 Prozent seiner Gäste Touristen, ein Großteil davon Busreisende. "Aber die größeren Hotels im Ahrtal planen erst 2023, teils 2024, mit den Wiedereröffnungen." Außerdem habe Corona das Verhalten der Gäste verändert. In der Zeit, in der nur Außengastronomie erlaubt war, habe er festgestellt: So funktioniert es auch. Selbst als die Innengastro wieder betrieben werden durfte, hätten die Gäste den Außenbereich bevorzugt. "Ich glaube, die Leute möchten nicht mehr so eng sitzen", so Bells Erfahrung. Gerade erst hatte Bell deshalb den Außenbereich umgestaltet und rund 100.000 Euro investiert. Dann kam die Flut und machte einen Großteil der Investitionen unbrauchbar. Für seinen Hof und die umliegenden Gebäude hat Markus Bell nun ein völlig neues Konzept entwickelt. Der Enthusiasmus und die Überzeugung von der Idee, die aktuell unter dem Titel "Bells WerkStadt" firmiert, ist dem 48-Jährigen deutlich anzumerken. Er selbst will mit "Bells Bistronomie" wieder an den Start gehen. Auf einer reduzierten Speisekarte sollen die Gäste vor allem hochwertige Hausmannskost finden. "Roulade, Butterbrot deluxe, jahreszeitenbezogene Gerichte", schwärmt Bell. Da der Biergarten relativ unversehrt ist und recht schnell wiederhergestellt werden kann, soll er möglichst im Juni wiedereröffnen - und zugleich eine Oase für alle sein. Der Innenraum des Restaurants - in Zukunft Bistronomie - wird reduziert und einen Werkstatt-Charakter erhalten. "Mein Opa hatte hier früher eine Werkstatt für NSU-Motorräder", erzählt Bell. Bei den Aufräumarbeiten kam hinter einer Verkleidung eine alte, massive Bruchsteinmauer zum Vorschein, die künftig in Szene gesetzt wird. Die frei werdende Fläche wird demnächst von einer Galerie genutzt. Wechselnde Ausstellungen verschiedenster Künstler werden hier zu sehen sein.
Der Innenhof wird ganz neu gestaltet. In einem der angrenzenden Gebäude werden große Fenster eingelassen, hinter denen sichtbar für die Gäste gekocht wird. Rund um den Hof werden kleine Geschäfte eingerichtet. Es soll ein richtiger homogener Hof entstehen. Eine Goldschmiedin, eine Floristin und ein Geschäft mit Einrichtungs- und Dekogegenständen, die von der Flut betroffen sind, werden ihr neues Zuhause bekommen. Der Eingangsbereich wird offen gestaltet, auch die Parfümerie Becker wird wiederkommen. Alles vereint werden soll im Biergarten. Getränkewerden aus eigenen Gläsern ausgeschenkt, die im Dekogeschäft erworben werden können. Auch die Blumengestecke der Floristin auf den Tischen können die Gäste kaufen, so Markus Bells Vision. Etliche Geschäftsinhaber in der Nachbarschaft wollen ihre Läden nicht mehr eröffnen - zumeist aus Altersgründen. Für die Ahrweiler Innenstadt ein Problem - vor allem da die kleinen, inhabergeführten Geschäft das Flair Ahrweilers immer ausgemacht haben und für viele Gäste ein Grund waren, die Stadt zu besuchen. Somit möchte Markus Bell mit seiner "WerkStadt" auch einen Anreiz für unschlüssige Geschäftsinhaber, aber auch Neugründer stiften, Ahrweiler zu beleben. Daher wolle er die Miete anfangs auch gering halten. "Wir fangen mit dem Projekt klein an und gucken, wohin es uns alle führt," sagt er.
Unterstützung erhält Bell unter anderem durch die Lions Clubs Cochem und Viernheim. Der Kontakt zu den Cochemer Lions kam über einen Studienfreund zustande. Die Clubmitglieder wollten Menschen im Ahrtal nach der Katastrophe unterstützen, sich aber vor Ort ein Bild machen, um gezielt Projekten Hilfe zukommen zu lassen. Markus Bell wiederum stellte Kontakt zu vier betroffenen Familien her, die von den Lions ebenfalls große Unterstützung erhielten. Bell selbst helfen die Lions nicht nur finanziell, sondern auch mit Knowhow, Vermittlung von Kontakten und mehr. "Herr Bell ein sehr beeindruckender, fleißiger, engagierter und innovativer Unternehmer, der im Ahrtal tief verwurzelt ist. Obwohl er selbst alles verloren hat und über keine Elementarschadensversicherung verfügt, hat er keine Sekunde ans Aufgeben gedacht", sagt Peter Olbermann, Präsident des Lions Clubs Cochem, zu den Gründen der Unterstützung. Er biete mit dem Projekt anderen Gewerbetreibenden, die ebenfalls völlig unverschuldet in eine schlimme Notlage geraten seien, unter "gemeinsamen Dach" eine neue Perspektive. "Er bezeichnet die Teilnehmer an dem Projekt selbst als 'Gestrandete'. Das trifft es sehr gut", so Olbermann. Das Projekt stehe für Mut, Aufbruch und gegenseitige Unterstützung. "Das beindruckt uns als Lions sehr und verdient unsere absolute Unterstützung." Das das Leben in der Ahrweiler Altstadt noch fast still stehe, brauche es Menschen, die anderen Mut machen, ein Aufbruchsignal vermitteln und Andere dazu bewegen, es ihnen gleichzutun. Sowohl die Cochemer Lions als auch die Viernheimer Lions waren vor Ort und haben sich grundlegend und umfassend über das Projekt informiert und sind sehr beeindruckt von dem Projekt.