"Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache"
Anlässlich des jährlich am 8. März stattfindenden Internationalen Frauen Tages haben Sacha Reichelt, Bürgermeister der Stadt Euskirchen, und Barbara Brieden, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, sich mit dem diesjährigen Motto auseinandergesetzt und Statements abgegeben. Das diesjährige Motto lautet: "Each for Equal - Jede und jeder für Gleichberechtigung". Zudem werben sie für zwei weitere Aktionen zum Thema.
Sacha Reichelt: "Nach meinem Verständnis soll dieses Motto betonen, dass eine wirkliche Gleichberechtigung nur dann erreicht werden kann, wenn auch alle angesprochen werden, sich einzubringen. Frauen und Männer sollen - wo notwendig - darin bestärkt werden, ihren Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe auf allen Ebenen und in allen Bereichen ganz selbstverständlich anzumelden. Das gilt für die Führungsebene genauso wie für die Feuerwehr, die Kita oder eine längere Elternzeit. Eine Verwaltung, die bei der Suche nach den fähigsten Köpfen, Händen und Herzen, jeweils die Hälfte der Menschen nicht aktiv berücksichtigt, wäre nicht nur schlecht beraten, sondern würde wohl kaum die schwierigen Aufgaben der Zukunft bewältigen. Frauen und Männer sollen - wo notwendig - darin bestärkt werden, der Veränderung bestehender Strukturen aufgeschlossen zu begegnen und sie gemeinsam weiter zu entwickeln. Das gilt für Arbeitsformen und Abläufe in der Verwaltung genauso wie für Gesellschaft und Politik. Eine Verwaltung muss immer bemüht sein, bei anstehenden Veränderungen alle mitzunehmen, es müssen aber auch alle bereit sein mitzukommen. Letztes Jahr stand ich am Internationalen Frauentag im Büro der Gleichstellungsbeauftragten, heute sitzen wir auf einer Bank - und zwar einer roten Bank - im Ratssaal."
Rote Bank im Rathaus
"Um Menschen über das Thema "Gewalt gegen Frauen" zu informieren und dafür zu sensibilisieren, wurde 2016 in Italien das Projekt "La Panchina rossa" (Die rote Bank) ins Leben gerufen", erklärte der Bürgermeister. "Seither sind rote Bänke in vielen italienischen Städten zu sehen. In Deutschland gibt es sie unter anderem in Freiburg, Potsdam, in Euskirchen vor der Kreisverwaltung und nun auch bei uns im Rathaus. Geschlechtsspezifische Gewalt findet mitten in der Kommune statt, sie betrifft alle Generationen, alle Bildungsschichten, alle Kulturen und alle Geschlechter. Die rote Bank gehört daher in die Kommune: Sie kann mit Ihrer Hilfe durch unsere Stadt wandern und dafür ist es gut, dass sie schlicht, leicht und beweglich ist. Ich möchte Sie herzlich einladen, sich mit Ihrer Einrichtung, Ihrem Verein, Ihrer Nachbarschaft oder Gemeinde an der Aktion "Die rote Bank wandert durch Euskirchen" zu beteiligen: Stellen Sie die Rote Bank in Ihren Räumlichkeiten an einen Ort Ihrer Wahl und teilen Sie uns Ihre Erfahrungen, Gedanken und Anregungen zum Thema "Gewalt gegen Frauen und Mädchen" mit. Gerne verbunden mit einem Foto, einem Film, einer Veranstaltung oder einem Projekt. Das Ergebnis aller Aktionen möchten wir gerne am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, hier im Rathaus zeigen. Denn Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, sondern geht uns alle an. Wenn Sie die Bank eine gewisse Zeit aufstellen möchten, melden Sie sich bitte bei Frau Brieden unter bbrieden@euskirchen.de. Ich freue mich auf Ihre Beiträge!"Die Gleichstellungsbeauftragte Barbara Brieden erklärt: "Gewalt stellt ganz grundsätzlich eine moralisch verwerfliche Tat dar und wird daher in unserem Rechtssystem unter Strafe gestellt. Das ist gut so. Für mich als Gleichstellungsbeauftragte stellt Gewalt gegen Frauen und Mädchen und hier insbesondere Gewalt in Beziehungen, aufgrund der oftmals strukturellen Ursachen, aber ein besonders wichtiges Thema dar. Auch bei uns in Euskirchen ist Gewalt in vielen Wohnungen und Häusern trauriger Alltag, wie die jährlichen Berichte der Frauenberatungsstelle immer wieder zeigen. Wie hoch die Zahl der Betroffenen ist, verdeutlicht auch die langjährige und weiter vorhandene Notwendigkeit des Runden Tisches gegen häusliche Gewalt. Aufgrund der vorliegenden Daten muss ich davon ausgehen, dass auch Kolleginnen, Nachbarinnen, Freundinnen, Verwandte und Bekannte von mir persönlich betroffen sind. Und tatsächlich ist das auch so. Es ist und bleibt eine sehr bedrückende Tatsache, dass ausgerechnet das eigene Zuhause für Frauen und Mädchen der gefährlichste Ort sein kann und es, wie die Dunkelfeldstudie des Landes NRW zeigt, eine sehr hohe Dunkelziffer gibt, da viele Opfer die Straftaten nicht anzeigen. In der Berichterstattung wird strukturellen Hintergründen wenig Raum gegeben. 'Familientragödie' oder 'Ehedrama" verharmlosen das brutale Geschehen, wecken indirekt und oftmals unbewusst Verständnis für den Täter und geben damit dem Opfer zumindest eine Teilschuld. Vor Gericht und in den Medien wird immer noch zu oft darüber beraten und spekuliert, ob Opfer sich ausreichend zur Wehr gesetzt oder nicht vielmehr durch Kleidung, Gesten oder Bewegungen 'Zustimmung' signalisiert hätten. Wie sehr diese Sichtweise weite Teile unserer Gesellschaft prägten, verdeutlichte auch Ende der neunziger Jahre die Bundestagsdebatte zum Thema 'Vergewaltigung in der Ehe'", erklärt Brieden.