![](/i/fileadmin/user_upload/import/artikel/626/649626/649626_Tafel1.jpg?_=1739284916&w=236&a=1.5&f=inside)
![](/i/fileadmin/user_upload/import/artikel/626/649626/649626_Tafel1.jpg?_=1739284916&w=236&a=1.5&f=inside)
Wochenspiegel: Herr Eibes, Sie sind seit 2011 Landrat des Kreises Bernkastel-Wittlich. Welche Meilensteine Ihrer Amtszeit werden Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
Gregor Eibes: »Ein Großteil meiner Amtszeit war von Krisen geprägt, die oft die tägliche Verwaltungsarbeit überlagert haben. 2015/16 begann es mit der Flüchtlingskrise, die bis heute anhält, dann folgten fast nahtlos die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die Energiekrise. Besonders Corona hat unser aller Leben verändert und stellte uns als Verwaltung vor immense Aufgaben. Es gab keine Blaupause für diese Situation, vieles war unvorhersehbar. Wir mussten schnell und oft weitreichend entscheiden.«
Konnte der Landkreis aufgrund der Pandemie geplante Vorhaben nicht umsetzen?
»Nein, das würde ich nicht sagen. Die Kernaufgaben – besonders in Jugend und Soziales – liefen weiter, ebenso unsere Investitionen. In manchen Bereichen hat Corona sogar als Beschleuniger gewirkt, besonders im digitalen Fortschritt. Homeoffice wurde etabliert, unsere Schulen haben heute einen hohen digitalen Standard. Wir hatten bereits ein Medienkonzept, aber durch die Pandemie kamen Fördermittel schneller als erwartet. Ohne Corona wäre diese Entwicklung langsamer verlaufen.«
Gibt es Projekte oder Initiativen, auf die Sie besonders stolz sind?
»Schon während meiner Zeit als Bürgermeister in Morbach war mir der Bereich erneuerbare Energien wichtig. Die Energielandschaft Morbach war damals wegweisend. Dieses Engagement habe ich als Landrat weitergeführt – mit dem kommunalen Windpark auf dem Ranzenkopf. Trotz vieler Hürden konnten wir ihn realisieren: zehn Anlagen sind in Betrieb, drei weitere in Planung. Heute erwirtschaften wir Einnahmen, von denen alle profitieren. Dank Direktvermarktung des Stroms sind wir finanziell schon fast auf dem Niveau, das wir für die gesamte Laufzeit kalkuliert hatten. «
Was hat Sie persönlich in Ihrer Zeit als Landrat am meisten bewegt oder überrascht?
»Da komme ich nochmal auf Corona und das Impf-Thema zurück. Als ich 2021 vorzeitig geimpft wurde, gab es heftige Kritik und eine sehr emotionale öffentliche Debatte. Ich habe damals sogar Morddrohungen erhalten – das war eine Erfahrung, die mich wirklich erschüttert hat. Plötzlich stand nicht mehr im Vordergrund, was man als Landrat geleistet hat, sondern nur noch dieser eine Vorfall. Es war schmerzhaft zu sehen, wie schnell man als öffentliche Person in den Fokus negativer Aufmerksamkeit geraten kann. Trotzdem war meine Zeit als Landrat insgesamt sehr erfüllend. Ich hatte immer eine enge und gute Zusammenarbeit mit den politischen Gremien und konnte mich auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voll verlassen – das war mir in all den Jahren besonders wichtig.«
Was war Ihre schwierigste Sachentscheidung?
»Langfristig sicher die Frage, wie wir die Flüchtlingskrise am besten bewältigen. Einerseits wollten wir so lange wie möglich eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen ermöglichen, andererseits gab es den Druck, zentrale Gemeinschaftsunterkünfte zu schaffen. Schließlich fiel die Entscheidung für Horath, mit Longkamp als Ergänzung – wobei diese bis heute nicht in Betrieb ist. Schwierig war und ist dabei die Unsicherheit: Normalerweise trifft man Entscheidungen auf Basis klarer Vorgaben, doch hier blieb uns nur der Blick in die Glaskugel. Wir mussten handeln, ohne zu wissen, ob es richtig oder ausreichend ist. Auch die Durchsetzung der Corona-Maßnahmen war nicht einfach. Die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens waren emotional belastend, mussten aber dennoch umgesetzt werden.«
»Meine Laufbahn begann 1992 als persönlicher Referent von Dr. Gestrich – leider nur für sein letztes Amtsjahr, aber es war eine unglaublich wertvolle Erfahrung. Danach folgten prägende Jahre mit Beate Läsch-Weber (1993–1997), der ersten und damals jüngsten Landrätin in Rheinland-Pfalz. Ich war in einer Doppelfunktion als ihr persönlicher Referent und Personalchef tätig und habe viel über Verwaltungsmodernisierung gelernt. Dann kam der Wechsel nach Morbach – als Bürgermeister hätte ich nie gedacht, noch einmal in die Kreisverwaltung zurückzukehren.
In diesen Jahren hat sich enorm viel verändert – vor allem durch die Digitalisierung. E-Mails, soziale Medien – das hat den Umgang zwischen Bürgern und Verwaltung grundlegend verändert. Früher landeten auf meinem Schreibtisch nur Vorgänge, die meine direkte Entscheidung erforderten. Heute ist es oft umgekehrt: Wer meine E-Mail-Adresse kennt, schreibt mir direkt, und ich delegiere von oben nach unten. Das bedeutet einen enormen Mehraufwand – und das 365 Tage im Jahr, auch im Urlaub.
Auch die Kommunalpolitik hat sich gewandelt, besonders auf Ebene der Ortsgemeinden. Die Wertschätzung für das kommunalpolitische Ehrenamt hat nachgelassen. Entscheidungen werden nicht nur kritisch hinterfragt, sondern oft grundsätzlich infrage gestellt – manchmal ohne echte Sachkenntnis. Das erschwert es zunehmend, Menschen für ein Ehrenamt zu gewinnen. Soziale Medien tragen ihren Teil dazu bei, denn dort kann jeder anonym Kritik äußern. Deshalb habe ich mich bisher bewusst aus diesen Kanälen herausgehalten. «
Worin sehen Sie in den kommenden Jahren die größte Herausforderung?
»Dauerbrenner bleiben Kitas, Schulen, Straßenbau und Breitbandversorgung. Eine entscheidende Frage wird die Mobilität im ländlichen Raum sein: Halten wir am klassischen ÖPNV mit Bussen fest oder brauchen wir neue Lösungen? Der Schülerverkehr muss gesichert bleiben, aber der ÖPNV ist in seiner aktuellen Form finanziell kaum noch leistbar. Noch größer ist das Problem der kommunalen Finanzen. Trotz Entschuldung sind viele Kommunen de facto pleite – mit Defiziten, die auf Dauer nicht tragbar sind. Das wird Investitionen bremsen. Hinzu kommt die Kostenexplosion im Sozialbereich: Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Sozialleistungen – die steigenden Fallzahlen sind kaum noch finanzierbar. Wir müssen uns ehrlich fragen: Was können wir uns als Gesellschaft noch leisten? Und wie verhindern wir, dass eine wachsende Spaltung entsteht?“
Ein weiteres Problem: Der Gesetzgeber ist zu weit von der Praxis entfernt. Viele Gesetze sind ideologisch geprägt, aber handwerklich kaum umsetzbar. Das fällt dann auf die Verwaltungen zurück. Fachpersonal zu finden, wird ebenfalls immer schwieriger.«
Was geben Sie den Bürgerinnen und Bürgern zum Abschied mit auf den Weg?
»Nach 28 Jahren in der Kommunalpolitik blicke ich mit großer Dankbarkeit auf eine sehr erfüllende Aufgabe zurück. Besonders schätze ich die konstruktive Zusammenarbeit in den kommunalpolitischen Gremien – auch bei unterschiedlichen Meinungen haben wir immer gemeinsame Lösungen gefunden. Was mir immer wichtig war: nah an den Menschen zu sein. Ich habe es genossen, den Landkreis in all seinen Facetten kennenzulernen – in den Dörfern, im Ehrenamt, bei Veranstaltungen und Jubiläen. Unsere Ehrenamtlichen leisten Großartiges, sei es in der Feuerwehr, im Katastrophenschutz, in der Notfallnachsorge oder den Vereinen. Darauf können wir sehr stolz sein!«
Was werden Sie am meisten vermissen:
»Am meisten werde ich die Menschen vermissen, die mich all die Jahre begleitet haben – mein Team in der Verwaltung. Wir sind hier alle per Du, eine große Familie, freundschaftlich verbunden, nicht nur dienstlich. Über die Jahre habe ich viele Kolleginnen und Kollegen ins Herz geschlossen. Es sind die engen Bindungen, die über so lange Zeit gewachsen sind, die den Abschied nicht leicht machen.«
»Ich freue mich darauf, meinen Terminkalender selbst zu gestalten – mehr Zeit mit meiner Frau und Familie zu verbringen, zu reisen, Dinge zu erledigen, die zu kurz kamen. Und natürlich auf mein Ehrenamt als Präsident des Fußballverbands Rheinland. 1.000 Vereine mit 170.000 Mitgliedern – das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, aber sie macht mir große Freude. Fußball war immer mein Hobby, und durch dieses Amt wird mir ganz sicher nicht langweilig werden. . .«
Ihr Nachfolger, Andreas Hackethal, tritt im März sein Amt an. Welche Ratschläge geben Sie ihm mit auf den Weg?
»Was Sachthemen angeht? Eigentlich keine (lacht). Wir kennen uns seit vielen Jahren. Es ist sicherlich außergewöhnlich, dass jemand zweimal mein Nachfolger wird – erst als Bürgermeister, jetzt als Landrat. Wir haben einen ähnlichen Horizont und teilen viele Erfahrungen. Natürlich haben wir uns bereits ausgetauscht, etwa zu langfristigen Projekten. Er bringt die Erfahrung mit, die es braucht, und wird seinen eigenen Weg gehen.«