Der alte Strohdecker - Eefeler Verzellcher
Der letzte professionelle Strohdecker in der Eifel starb vor etwa 65 Jahren. Sein "Job" war nicht mehr gefragt - im Zeitalter von Ziegeln und hochmoderner synthetischer Dacheindeckungen aller Art.
Früher waren strohgedeckte Eifeler Bauernhäuser ortsbild- und landschaftsprägend. Wie das Haus selbst war auch das Dach aus naturechten und selbst zu erbringendem Material hergestellt: aus Roggenstroh. Dieses musste mit der Hand gedroschen sein, damit die Halme nicht brachen und sich voll Regenwasser saugen konnten. Die normale Lebensdauer eines Strohdaches betrug zwischen 40 und 50 Jahren. Wenn sich jedoch zu starkes Moos bildete und das Stroh völlig "isoliert" war, hieß es neu verlegen. In Pronsfeld gab es im Zuge des Eisenbahnbaus vor der Jahrhundertwende für Häuser entlang der Strecke ein Verbot, Dächer mit Stroh einzudecken. Zuvor hatte es auf Grund des Funkenfluges mehrere Hausbrände gegeben, was die Regierung zu diesem Schritt veranlasste. Ein Pittenbacher Bauer wurde bestraft, weil er diesem Verbot nicht Folge leistete.
Neben diesen Einzelfällen war das Strohdach jedoch überall in der Eifel zu finden. Strohdecker waren gefragte Leute, die ihre Kunst verstanden und sich entsprechend zu bezahlen lassen wussten. Ja -und: diese Arbeit war sehr hart, erforderte viel Geschick und war zudem höchst gefährlich.
Wie bei anderen Dächern auch wurden zunächst Latten oder naturrunde Stangen auf die Dachsparren genagelt. Am Rande entlang band der Dachdecker eine Reihe kleiner "Strohpuppen", die fest an die untere Stange gebunden wurden. Gedeckt wurde das Dach in Gängen oder Furten von 60 bis 70 cm Breite. Dabei wurde auf jede Latte ein Bund Stroh, ein "Schoof", gelegt, auseinandergebreitet, darüber eine Haselgerte gelegt, die durch das Stroh hindurch mit der darunter befindlichen Stange verbunden wurde. So haftete das Stroh fest auf seiner Unterlage. Als Bindematerial dienten Weiden- oder Birkenreiser, die in der Eifel "Splinxchen" genannt wurden. Diese Reiser wurden zuvor mit einem Messer aufgeritzt und zwei Tage in Wasser eingelegt, damit sie elastisch wurden. Für jedes Bund Stroh brauchte der Eindecker zwei Splinxchen, für ein durchschnittlich großes Bauernhausdach 2000 bis 2500 Bund Stroh. War das Stroh in einer Längsschicht aufgebunden, kam die nächste Lage an die Reihe. Dieses setzte sich fort, bis der First erreicht war. So benötigte der Dachdecker für beide Dachseiten bei einer Stärke von etwa 50 cm einige hundert Zentner Stroh. Aus der ursprünglichen Dicke verblieb nach einem halben Jahrhundert noch ein Zehntel, also fünf Zentimeter.
Nach dem rohen Aufbinden des Strohs wurde das Dach "verputzt", wie der Fachmann sagte. Mit einem scharfen Messer wurden die Bündel beschnitten, vorstehende Ende abgetrennt und die gesamte Fläche mit Hilfe eines Brettchens festgeklopft. Für diese mühevolle Arbeit schützte sich der Strohdecker mit einem Leder, das er an der Innenseite der Hand befestigte. War die gesamte Dachfläche eingedeckt und festgeklopft, wurden auf dem First die überlappenden Halme beider Dachseiten umgebogen und schwere Rasenstücke, die aus einer Wiese ausgestochen waren, darüber gedeckt. So forderte die gesamte Arbeit viel Rohmaterial, eine geübte Hand und Widerstandskraft bei allen Unbilden des Wetters.
Das Strohdach hingegen bot mancherlei Vorteile: Im Sommer hielt es die kühle Luft unter sich fest, so dass selbst in heißen Sommertagen die Temperatur angenehm war. Im Winter isolierte das Dach und ließ keine frostigen Temperaturen ins Innere. Zudem war ein fachmännisch gedecktes Dach absolut wasserdicht und trotzte den rauen Eifelstürmen.
Text: Joachim Schröder