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Edith Billigmann

... Kein Alarm für Cobra 11

Trier/Region (edi). Anja Rakowski ist die erste Polizeipräsidentin in Rheinland-Pfalz und räumt mit Vorurteilen und alten Arbeitszeitmodellen auf.

Vita

  • Anja Rakowski trat 1990 in den Polizeidienst des Landes Rheinland- Pfalz ein und durchlief alle Laufbahnen vom mittleren bis zum höheren Polizeidienst.
  • Nach dem Studium an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster und dem anschließenden Aufstieg in den höheren Polizeidienst war sie seit 2009 zunächst stellvertretende Leiterin der 1. Bereitschaftspolizeiabteilung in Enkenbach-Alsenborn.
  • Danach übernahm sie 2013 die Leitung der Polizeiinspektion Mainz 1 und wechselte 2016 als Referentin ins Mainzer Innenministerium, wo sie später die Leitung des Lagezentrums übernahm.
  • Anschließend war sie von 2019 bis 2021 im Polizeipräsidium Einsatz, Logistik und Technik Leiterin des Präsidialstabs, bevor sie ins Polizeipräsidium Rheinpfalz wechselte und dort die erste Polizeivizepräsidentin des Landes wurde.
  • Am 11. April 2023 wurde Anja Rakowski in Trier offiziell in ihr Amt als Polizeipräsidentin eingeführt.
  • Quelle Vita: Ministerium des Innern und für Sport; 27.03.2023

 

Ein halbes Jahr Babypause hatte sie sich nach der Geburt ihrer Tochter gegönnt. "Wenn ich 1996 Elternzeit oder einige Jahre Auszeit genommen hätte, wäre ich nicht hier", sagt sie und gibt damit zugleich ein Statement, wofür sie als erste Polizeipräsidentin in Rheinland-Pfalz in einem noch immer männlich dominierten Beruf steht. Mit ihrer Ernennung im vergangenen Frühjahr hat auch das Land Rheinland-Pfalz ein deutliches Zeichen gesetzt. Ein Schritt, der längst überfällig gewesen sei, meinte Innenminister Michael Ebling bei der Bekanntgabe der Personalie am 8. März, dem internationalen Frauentag - ein Datum, das nicht zufällig gewählt worden war. Doch Anja Rakowski ist keine Quotenfrau, ihre Position hat sie sich durch Leistung hart erkämpft.

Dazu gehörte auch die Abkehr von der klassischen Rollenverteilung. »Sowohl mein Mann als auch ich hatten gleiche Zeitanteile in der Kinderbetreuung, bei meinem Studium in Münster er deutlich mehr als ich. Teilzeitarbeiten bei der Polizei wäre gegangen, war aber doch mit Nachteilen für die Karriere verbunden«, lässt sie die damalige Zeit Revue passieren. Um die Betreuung ihrer Tochter zu gewährleisten, sei sie »im Kreis gefahren«, ein ständiges Hin und Her zwischen Tagesmutter, Grundschule, Oma und Arbeit.

Als sie sich schließlich im Rahmen ihres Masterstudiums die Woche über in Münster habe einquartieren müssen, habe ihre damals 11-jährige Tochter einen Umzug dankend abgelehnt. Seither habe sich zwar viel getan, aber in der Gesellschaft sei die paritätische Aufteilung der Elternzeit noch lange nicht angekommen. Und auch von Arbeitgebern würden flexible Arbeitsformen und Teilzeit noch zu wenig angeboten. Aber gerade das sei für die Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr wichtig. »Ich bin davon überzeugt, dass auch bei der Polizei jede Funktion in Teilzeit erledigt werden kann«, gibt sie sich kämpferisch.

 

Es fehlte lediglich ein Zentimeter ...

Doch beginnen wir mit Anjas Geschichte und ihrer ersten Begegnung mit der Polizei. »Was reizt eine junge Frau daran, Streife zu fahren?«, haben wir sie gefragt. Diese Begeisterung habe tatsächlich eine Ausbildungskampagne der Polizei in der Schule ausgelöst. Die Arbeit habe sich spannend und abwechslungsreich angehört und auch die Möglichkeit, selbstständig arbeiten und eigene Entscheidungen treffen zu können, sei ihrem Naturell durchaus entgegengekommen.

Seit ihrem 16. Lebensjahr habe sie dann das Ziel, Polizistin zu werden, nicht mehr aus den Augen verloren. Doch bis dahin musste sie einige Hürden nehmen. »In Hessen war ich einen Zentimeter zu klein und wurde abgelehnt«, erzählt sie lachend. Das Dilemma erledigte sich zwei Jahre und eine zwischenzeitlich absolvierte kaufmännische Ausbildung später, als die Voraussetzungen zur Körpergröße abgesenkt wurden. Nach dem erfolgreich bestandenem Eignungstest in Rheinland-Pfalz stand ihrer Ausbildung zur Polizistin nichts mehr entgegen.

 

Kein Alarm für Cobra 11

»Wenn die Kriminalhauptkomissare von Cobra 11 innerhalb 45 Minuten Sendezeit 28 Autos schrotten, dabei dutzende Male in Lebensgefahr geraten und ganz nebenbei noch Menschen erschießen, hat das nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun«, korrigiert Anja Rakowski das falsche Bild des abenteuerwütigen und um sich schießenden Polizisten, der ständig bewusst gegen Dienstvorgaben verstößt und dann auch noch zum Helden gekürt wird.

Die sogenannten »Schüsse aus der Hüfte« seien mit einer verantwortungsvollen Polizeiarbeit nicht vereinbar. Gerade der Umgang mit dem Tod, aber auch das Bewusstwerden der eigenen Gefährdung werden explizit im Rahmen der Ausbildung trainiert. »Natürlich weint auch mal der Polizist, wenn er eine Todesnachricht überbringen muss«, sagt sie. Und auch beim Sichten und Auswerten von beispielsweise kinderpornografischem Material gerate man häufig an seine Belastungsgrenzen. Zur Bewältigung psychischer Konfliktsituationen stehe Betroffenen ein Kriseninter- ventionsteam oder auch eine individuelle Betreuung zur Verfügung

 

... Kein Tag wie jeder andere

»Es ist tatsächlich kein Tag wie der andere«, denkt Rakowski laut über die Vielschichtigkeit des Polizeiberufs nach. Das habe sie als junge Frau regelrecht in den Bann gezogen. Streife fahren war das, was sie eigentlich wollte. Doch der Einblick in die un- terschiedlichen Dienstberei- che eröffnet ihr eine Vielzahl von Perspektiven. »In keinem anderen Beruf erhält man so viele und tiefe Einblicke in die Gesellschaft und auch in alle Gesellschaftsschichten«, gerät die taffe Frau ins Schwärmen. »Man erlebt Dinge, die den meisten Menschen ein Leben lang verborgen bleiben.« Eine »unverhohlene« Werbung für den Polizeiberuf?, fragen wir die Polizeipräsi- dentin. »Ja«, antwortet sie offen. »Weil ich davon über- zeugt bin, dass viele junge Menschen das Potenzial dazu mitbringen.« Doch wie will man Familie und Beruf bei der Präsenzpflicht der Polizei unter einen Hut bekommen?, haken wir nach und finden uns beim Ausgangsthema wieder...

 

Corona, Babyboomer und andere Themen

»Die Präsenzkultur war viele Jahre unsere DNA«, sagt Rakowski. »Und die Amokfahrt in Trier vor drei Jahren hat uns auch gezeigt, wie wichtig es ist, vor Ort zu sein, um direkt reagieren zu können.« Aber Polizeiarbeit sei mehr als nur Verbrecherjagd. »Da gehört auch ganz viel Büroarbeit dazu. Und da macht es keinen Unterschied, ob ich im Büro oder im Home-Office meine Mails abrufe oder dringend Tatverdächtige zur Fahndung ausschreibe.« Seit Corona habe flexibles Arbeiten und Home-Office eine ganz andere Dimension erhalten und gezeigt, was alles machbar ist. »Wir dürfen nicht in alte Muster zurückfallen«, warnt sie. Besonders jetzt nicht, wo so viele junge Leute nachgerückt seien und die Zeit als »Endverwendungsdienststelle« der Vergangenheit angehöre.

 

»Jede Stelle die wir ausschreiben, ist teilzeitgeeignet.«

Bitte was ...? »Ja, Trier war lange Zeit das Präsidium mit dem ältesten Dienstpersonal«, erklärt die 54-Jährige. Das habe sich geändert, zum einen weil nun die Präsidien selbst als Behörden einstellen könnten, zum anderen weil mit den starken Abgängen der Babyboomer viele junge Leute nachgerückt seien. Und weil gerade bei ihnen die Familienplanung eine große Rolle spiele, achte besonders diese Generation auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. »Und das zu Recht«, betont sie. »Jede Stelle, die wir ausschreiben, ist teilzeitgeeignet.« Das gebe auch Frauen berufliche Perspektiven und bewahre vor der Altersarmut.

 

Ein Blick hinter die Kulissen

Seit 2023 steuert Anja Rakowski nicht nur die Geschicke im Polizeipräsidium in Trier, sondern hält auch privat gerne mal das Ruder in der Hand. Als neuen Wohnort hat sie sich die schöne Moselstadt Bernkastel-Kues nicht ohne Grund ausgesucht: Sie liebt die Landschaft, die »so viel Ruhe ausstrahlt«, und das Wasser. Denn dort, so hat uns die gebürtige Wiesbadenerin verraten, war sie zum ersten Mal mit dem Vierer im Wasser. Rudern ist eine Sportart, für die sie sich durchaus begeistern könne, meint sie. Mit ihrer Leidenschaft fürs Wandern und Fahrradfahren ein wohltuender Ausgleich zu einem Job, in dem sie eine große Verantwortung trägt.

 

 

 


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