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Wenn Zwänge den Alltag bestimmen

Der 10. Oktober ist internationaler Tag der psychischen Gesundheit. Wie wirken sich die Corona-Einschränkungen auf die psychische Gesundheit einer ganzen Gesellschaft aus? Studien belegen einen Anstieg von Depressionen und Angstzuständen in bestimmten Gruppen.
Zwangsstörungen führen oft zur sozialen Isolation. Symbolfoto: Alexandra Gorn, unsplashed

Zwangsstörungen führen oft zur sozialen Isolation. Symbolfoto: Alexandra Gorn, unsplashed

Wann es eigentlich angefangen hat, daran kann sie sich gar nicht mehr so recht erinnern. Es muss so ungefähr seit ihrer Pubertät gewesen sein, dass sie ihr Zimmer wie besessen aufräumt und putzt. Die 52-jährige Mutter von zwei Töchtern senkt traurig den Blick, wenn sie von ihren Zwängen erzählt, denn seitdem lebt sie »mit dieser ständigen Hölle im Kopf«, die sie bereits ihre Ehe gekostet hat. Ihr Mann war genervt von ihrem Putz- und Kontrollzwang und ihren Ängsten. Ständig schaute sie nach, ob die Kaffeemaschine auch wirklich aus ist oder ob sie vergessen hatte, das Licht auszuschalten.

Soziale Isolation

Ihr damaliger Ehemann fühlte sich kontrolliert und gegängelt, ihre Eltern fühlten sich immer nur überfordert und ratlos. Irgendwann wurde es ihrem Mann zu viel. Er zog aus. Kerstin, die unerkannt bleiben möchte, lebt seit zwei Jahren alleine mit ihren Putz- und Kontrollzwängen in einem Haushalt, der schon immer mehr als picobello ist. Und alleine mit ihren Ängsten, die seit Corona schlimmer geworden sind. »Ich gehe nur noch zum Einkaufen raus. Soziale Kontakte habe ich nicht«, erzählt Kerstin, denn ihre Angst vor Ansteckung sei viel zu groß. Corona habe jedoch für sie auch eine positive Seite: »Endlich beschwert sich keiner mehr, dass ich mir dauernd die Hände wasche. Das ist jetzt normal. Und dass nun überall Desinfektionsmittel stehen, das habe ich mir schon immer gewünscht«, sagt die Angestellte einer Versicherungsgesellschaft, die allabendlich hinter heruntergelassenen Rolläden ihre ohnehin schon sauberern Fenster wischt, damit die Nachbarn nichts mitbekommen.

Im Zwang gefangen

Zur Ruhe kommt sie nie, muss immer weitermachen, getrieben von sich selbst. Sortieren, polieren, aufräumen, schrubben. Und zwischendurch immer schön schauen, ob sie auch nichts vergessen hat. Ausgelaugt fällt sie meist spät abends ins Bett, müde, traurig und hilflos, weil sie genau weiß, dass der nächste Tag genauso laufen wird. »Es war nie gut, es war nie zu Ende«, sagt sie. »Ich konnte mich nicht verabreden, ich konnte kein Buch lesen, bevor ich nicht das Gefühl hatte, es sei alles in Ordnung. Aber für mich war nie alles in Ordnung«, erinnert sich Kerstin an die schlimmsten Zeiten ihres Lebens.

Ausweg Therapie

Wegen ihrer ständigen Müdigkeit gepaart mit Kopfschmerzen war sie jahrelang in Behandlung. Ihre Zwänge verschwieg sie bis zu ihrem Ehe-Aus vor zwei Jahren. Da konnte sie nicht mehr anders und vertraute sich einem Telefonseelsorger an. Als der Psychologe am anderen Ende der Leitung sagte: »Sie haben eine Zwangserkrankung. Ich kann Ihnen helfen«, war sie total erleichtert. Endlich fühlte sie sich verstanden und traute sich auch, sich ihrem Arzt anzuvertrauen. Für die ersten Wochen halfen ihr Medikamente über die schlimmste Zeit hinweg. Ihre Zwänge mehr und mehr in den Griff zu bekommen, lernte sie dann in Verhaltenstherapien. Zwänge und Ängste hat sich immer noch, aber sie lernt immer besser damit umzugehen. Als nun im März die Corona-Pandemie Einzug hielt, da war sie wieder mit voller Wucht da, die Angst, die Regie über das Leben nimmt. Angst – das ist ohnehin das immer wiederkehrende Wort dieser Krankheit. Angst, etwas falsch zu machen und eben auch die Angst vor Ansteckung und Seuchen, die nun seit Beginn der Pandemie verstärkt wurde.

Anstieg in Telefonseelsorge

Einen erhöhten Gesprächsbedarf von Menschen in seelischer Not bestätigt auch Dr. Bernd Steinmetz, Leiter der Trierer Telefonseelsorge: »Bei Menschen mit Zwängen und Ängsten, aber auch bei Menschen mit Erkrankungen wie beispielsweise Asthma, hat Corona zu einer großen Verunsicherung oder Überreaktion geführt.« Bei der Telefon-Seelsorge Deutschland als größtes Hilfe-Telefon für psychische Gesundheit gab es ab der ersten Stillstandswoche im März eine Zunahme der Gespräche um 20 Prozent und eine langsame Abnahme nach der dritten Stillstandswoche. »Mit 8.764 Beratungstelefonaten vom Jahresbeginn bis jetzt haben wir durchgehend 8,3 Prozent mehr Beratungsgespräche in Trier«, so Steinmetz. Diese Zahl drücke die »bediente« Nachfrage aus, das heißt die Nachfrage, die die Seelsorge durch Besetzung zusätzlicher Beratungstelefone bedienen konnte. Eine bundesweite Untersuchung der Telefondaten habe in der ersten Stillstandswoche eine Steigerung der Anrufe um 50 Prozent belegt.

Im Anstieg der Beratungskontakte wurden zuerst finanzielle Sorgen und Ängste verstärkt thematisiert. »In unseren Zahlen wird deutlich, dass nicht finanzielle Ängste und Sorgen zur verstärkten Zunahme geführt haben, sondern verstärkte Einsamkeit und Ängste. Corona hinterlässt Spuren, da ist sich Dr. Steinmetz sicher: »Menschen sind grundsätzlich nicht geübt, Unsicherheiten zu ertragen. Ein elementares Bedürfnis nach Verlässlichkeit der Gestaltung des Lebens und der Planbarkeit ist ein zentrales Merkmal der Zufriedenheit und damit im Zusammenhang der psychischen Gesundheit. Dies bestätigt auch unsere Beobachtung, dass bestehende Krisen und Belastungen durch die Pandemie und die damit notwendigen Schutzmaßnahmen verstärkt worden sind.«

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Hier ein paar Tipps, wie man besser mit Ängsten und Zwängen umgehen kann, die uns die Telefonseelsorge Trier zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat:

Corona-Schutzverhalten für Menschen in Sorge und Angst

Unsicherheiten sind schwer zu ertragen, Menschen haben ein Bedürfnis nach Verlässlichkeit und einem Erleben von Planbarkeit. Hier hilft es die (partielle) Kontrolle in anderen Lebenssituationen zu verstärken oder zu schaffen: Wochenplan machen, to do Listen, kleine erfüllbare Ziele setzen. Und vielleicht auch mal was neues lernen und ausprobieren: vielleicht meditieren, um besser mit sich selbst, dem eigenen Erleben, in Stille zurecht zu kommen,

Sich Sorgen zu machen kann helfen, unsichere Situationen zu spüren und etwas Kontrolle über unsichere Situationen zu erhalten. Es wird aber nicht helfen, eine nachhaltige Lösung zu finden. Dafür sind der Stress und der damit verbundene Energieverbrauch zu groß, vor allem, wenn wir Situationen kontrollieren wollen, die nicht in unserem Einflussbereich liegen. Lösungsorientierte, gesunde Strategien sind bewusster zu leben, zu reflektieren, was man persönlich braucht (relaxen, kommunizieren und was über das Alltägliche hinaus als sinnstiftend erlebt wird). Hier zeigt sich auch, wie hilfreich und gesundheitsfördernd (ehrenamtliches) soziales Engagement ist und sein kann: sich in Gemeinschaftsprojekten engagieren, schafft nicht nur soziale Kontakte und ist sinnstiftend, solche Netzwerke helfen auch die Toleranz gegenüber Unsicherheiten zu erweitern und neue Möglichkeiten und Chancen zu entdecken.

Einige konkrete Verhaltensvorschläge:

Zu allererst Ruhe bewahren und sich nicht anstecken zu lassen, von einer eventuellen Hektik, Sorge oder gar Angst/Panik der Anrufenden zum Thema „Corona-Virus“. Dazu können wir sehr bewusst ausatmen, uns im Sessel zurücklehnen, eine entspannte Körperhaltung einnehmen und langsam sprechen. 

Im weiteren Schritt sollten wir uns bewusst machen, quasi als innere Haltung, dass wir selbst angesichts der aktuellen Nachrichtenereignisse nicht ohnmächtig und nicht allmächtig sind. Wir sind handlungsfähig, können uns mit sinnvollen Maßnahmen schützen, auch wenn wir nie eine 100%ige Sicherheit haben können.

Dabei kommt uns zugute, dass in unserem Unternehmen und in unserer Gesellschaft ein professionelles Krisenmanagement gegeben ist, das den Wert des Lebens vor wirtschaftliche Interessen und Machtinteressen stellt.
 

Jede und jeder kann selbst etwas dazu beitragen, indem die speziellen Hygieneempfehlungen eingehalten werden. Damit wird auch Selbstwirksamkeit als Erfahrung greifbar – wir sind nicht Opfer von Verhältnissen und einer Pandemie, sondern können selbst handeln.

Diese Aspekte sind auch effektive Maßnahmen zur Minimierung des Risikos einer Ansteckung, weil das Erleben von Selbstwirksamkeit das Immunsystem stärkt, während das Erleben Opfer zu sein, das Immunsystem schwächt.

Menschen, die einer oder mehrerer Risikogruppen angehören, sollten bei den ersten Symptomen einen Arzt anrufen und sich beraten lassen. Zu den Risikogruppen zählen Menschen,
•    die älter sind als 50 Jahre,
•    vorerkrankt am Lungen-Atmungssystem
•    vorerkrankt am Herz-Kreislauf-System
•    Diabetes oder eine Krebserkrankung haben
•    deren Nieren – oder Leberfunktion eingeschränkt ist
•    die das Immunsystem unterdrückende Medikamente einnehmen (Cortison)

Gesundheitsfördernd ist Bewegung an der frischen Luft, spazieren zu gehen.

Wichtig ist es auch Gesprächsangebote zu nutzen. Über Gefühle kann geredet werden. Ängste können angesprochen und gebannt werden.

Gesundheitsfördernd sind „echte“ Begegnungen mit Menschen. Telefonate mit Freunden und Familie (und wenn niemand greifbar ist mit der TelefonSeelsorge) fördern die seelische Gesundheit in Krisenzeiten. Dabei auch ganz bewusst über andere Themen reden und miteinander lachen! Denn Lachen ist die beste Medizin, weiß der Volksmund schon seit langem und inzwischen konnte die immunsystemstärkende Wirkung auch nachgewiesen werden.

Gespräche mit anderen Menschen helfen, dass Sorgen und Ängste sich nicht als Gedankenkino verselbständigen.

Ein Klassiker nicht nur für unsichere Zeiten, sondern auch generell für das Meistern von Belastungen und Herausforderungen ist es Tagebuch zu schreiben, vielleicht auch ein persönlicher Corona-Blogg. Positive neue Möglichkeiten im Unsicheren und Inspirationen lassen sich im ressourcenorientierten, positiven Schreiben finden. Es kann ein Ressourcen-Tagebuch (Resource Diary) angelegt werden. Dies hilft mit Unsicherheiten umzugehen, indem sie greifbar gemacht werden, ihrer Kraft als Monster oder Gedankenkino beraubt werden und mögliche Ressourcen aufzeigen.

Die Corona-Pandemie kann auch als Einladung wahrgenommen werden gesünder und nachhaltiger zu leben. Auch das stärkt unsere Selbstwirksamkeit und damit unsere Handlungsfähigkeit. Rauchen und Alkohol und Nikotin sind unsere Gifte in unserer Zivilisation, deren Konsum wir reduzieren sollten oder sogar ganz darauf verzichten sollten. Unsere Gesundheit reagiert erwiesenermaßen sofort und stärkt uns in der Folge noch mehr vor den Gefahren, die nicht in unserem Handlungsermessen liegen. Zentral ist natürlich auch die Ernährung, die  leicht und gesund sein sollte, mit vielen frischen Vitaminen und wenig belastenden Giften.




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