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Claudia Neumann

Verhängung von Sanktionen führt offenbar zu Anstieg der Auswanderung

Trier. Forscher der Universitäten Trier und Hamburg haben erstmals eine statistische Analyse zu sanktionsbedingten Migrationsströmen vorgelegt.

Symbolfoto

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Bild: Pixabay

Migration kann verschiedene Ursachen haben, etwa militärische Konflikte oder Armut. Ob die Entscheidung, aus der Heimat auszuwandern, auch von internationalen Sanktionen beeinflusst wird, war bisher allerdings kaum untersucht. Forscher der Universitäten Hamburg und Trier haben im Fachjournal "Journal of Economic Behavior & Organization" nun erstmals eine statistische Analyse zu sanktionsbedingter Auswanderung veröffentlicht.

Mit Sanktionen versuchen Staaten, die Einhaltung internationalen Rechts oder ihrer nationalen Interessen durchzusetzen. Oft gelten diese Maßnahmen als ein vergleichsweise mildes Druckmittel. In Bezug auf die europäischen und amerikanischen Sanktionen gegen Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine wird die Wirksamkeit von Sanktionen sogar vereinzelt infrage gestellt. Empirische Forschung zeigt allerdings, dass die Bevölkerung sanktionierter Staaten signifikant ärmer wird und durchschnittlich kürzer lebt.

Umfassende internationale Statistiken

Auch auf Migrationsbewegungen wirken sich die Maßnahmen scheinbar aus. Studien dokumentierten diesen Effekt bisher jedoch nur für Einzelfälle, wie zum Beispiel die Sanktionen gegen den Irak oder Haiti. Die nun vorgenommene Analyse trennt erstmals die Auswirkung internationaler Sanktionen mittels statistischer Regressionsverfahren von denen anderer Fluchtursachen. Als Basis dienen umfassende internationale Statistiken zu Migration und Sanktionen, etwa der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Insgesamt deckt der Datensatz Migrationsbewegungen aus 157 Herkunftsländern in 32 Zielländer zwischen 1961 und 2018 ab.

Dabei zeigt sich, dass es erst mit der Verhängung von Sanktionen zu einem signifikanten Anstieg der Auswanderung kommt. Umfassende Sanktionen, an denen zumindest die Europäische Union und die Vereinigten Staaten beteiligt sind, führen laut den Untersuchungsergebnissen durchschnittlich zu einem Anstieg der jährlichen Auswanderung um 20 Prozent. Dieser Effekt baut sich ab der Verhängung der Sanktionen auf, bis sich die Auswanderungszahlen unter langanhaltenden Sanktionen nahezu verdoppelt haben.

Bürger fliehen in größerem Maße wenn ihre Meinung unterdrückt wird

Dies ist allerdings nicht bei allen sanktionierten Ländern der Fall: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass Sanktionen nur in solchen Ländern zu einem Anstieg der Auswanderung führen, die die politische Meinungsfreiheit systematisch einschränken. Bürgerinnen und Bürger fliehen in größerem Maße vor Sanktionen, je mehr die Regierung ihre Meinung in der Krise unterdrückt", erklärt Prof. Dr. Jerg Gutmann, Juniorprofessor für Behavioral Law & Economics an der Universität Hamburg.

Auch die Zielländer der sanktionsbedingten Migration nahm die Forschungsgruppe in den Blick und konnte zeigen: Von der EU verhängte Sanktionen führen zu einem deutlich überproportionalen Anstieg der Migration in EU-Mitgliedstaaten. "Dies ist eine mögliche Folge von Sanktionen, der sich politische Entscheidungsgremien oft nicht bewusst sein dürften", sagt Prof. Dr. Matthias Neuenkirch, Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Trier.

Neben den Migrationsentscheidungen der Flüchtenden beleuchtet die Studie auch, wie Regierungen auf diese durch Sanktionen bedingte Auswanderung reagieren. Kuba schränkte 2015 beispielsweise die Auswanderungsmöglichkeiten medizinischer Fachkräfte drastisch ein. Die Forschungsgruppe konnte jedoch keinen Beleg dafür finden, dass derartige Maßnahmen geeignet sind, Migrationsbewegungen systematisch zu bremsen.

Die Studie

Jerg Gutmann, Pascal Langer und Matthias Neuenkirch: International sanctions and emigration. In: Journal of Economic Behavior & Organization, Volume 226 (2024). https://doi.org/10.1016/j.jebo.2024.106709


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