Claudia Neumann

"Solches Elend, ausgelöst von Tätern, die sich als Überbringer guter Botschaften gerierten"

Trier. Forschende der Uni Trier legen Zwischenbericht zu sexuellem Missbrauch im Bistum Trier unter Bischof Spital vor
Symbolbild: Trierer Dom

Symbolbild: Trierer Dom

Bild: Claudia Neumann

Seit eineinhalb Jahren forscht ein Team von Historikerinnen und Historikern an der Universität Trier zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen sowie hilfs- und schutzbedürftigen Erwachsenen durch Kleriker und Laien im Bistum Trier im Zeitraum von 1946 bis 2021. Nun haben die Forschenden ihren zweiten Zwischenbericht veröffentlicht, der die Fälle in der Amtszeit von Bischof Hermann Josef Spital (1981-2001) beleuchtet. Das Projektteam - bestehend aus Prof. Dr. Lutz Raphael, Dr. Lena Haase und Alisa Alic - hat in dem Zeitraum 49 Beschuldigte und Täter sowie 194 Betroffene identifiziert. Darunter sind auch bisher unbekannte Fälle, die dem Forschungsteam aber nicht dem Bistum gemeldet wurden. "Wir gehen davon aus, dass die Fälle im Dunkelfeld noch höher sind", sagt Prof. Dr. Lutz Raphael.

Die Ergebnisse des Berichts basieren auf der Auswertung von 1.035 Akten vor allem des Bistums, aber auch anderer Herkunft, sowie aus 20 Gesprächen mit Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Studie spricht von 14 "Mehrfach- und Intensivtätern", die über mehrere Jahre Personen sexuell missbraucht haben. Gegenüber seinem Vorgänger, Bischof Stein, ging in der Amtszeit von Bischof Spital die Zahl der Betroffenen geringfügig zurück. Eine merkliche Abnahme der Fälle begann aber erst in den frühen 1990er Jahren. Bis 1990 ist im Durchschnitt noch jeder neunte zum Priester Geweihte des Bistums Trier als Beschuldigter auffällig geworden.

Fallstudien


Ein Fokus des Forschungsprojekts lag darauf, anhand von Fallstudien zu beschreiben, wie die Verantwortlichen im Bistum mit den Missbrauchsfällen umgegangen sind. Dr. Lena Haase fasst das Ergebnis zusammen: "Die damalige Bischofsleitung war weit entfernt von den heute im Bistum geltenden Handlungsregeln. Milde hat den Umgang der Bistumsleitung mit den Beschuldigten bestimmt."
Die Kombination aus strafrechtlicher Verurteilung, Psychotherapie und schrittweiser Rückführung in den Beruf über die Anstellung in anderen Berufsfeldern, der Krankenhaus- und Altenseelsorge und schließlich der aushilfsweisen oder auch vollständigen Rückkehr in die Pfarrseelsorge scheint mit Blick auf die Verhinderung weiterer Missbrauchstaten bei knapp zwei Drittel der Beschuldigten erfolgreich gewesen zu sein. Wie auch bei seinem Vorgänger wurden in der Amtszeit von Bischof Spital straffällig gewordene Priester in andere Länder und an andere Stellen versetzt. Eine gezielte Vertuschung im Sinne des Versuches, Täter aus dem eigenen Bistum zu entfernen, ohne am neuen Einsatzort über deren Vorgeschichte zu informieren, lässt sich seitens der Bistumsverantwortlichen lediglich in einem Fall feststellen.
Die Untersuchung zeigt, dass im Bistum Trier für die Aufklärung intern Sorge getragen wurde, während die Anzeige und Information staatlicher Stellen vollständig vernachlässigt wurde. Persönlich war Bischof Spital mit mindestens 13 Fällen befasst. Dabei ging er neue Wege der pastoralen Verantwortung, führte Gespräche mit Eltern betroffener Minderjähriger und kümmerte sich um die Belange der Betroffenen.

Universitätspräsidentin Prof. Dr. Eva Martha Eckkrammer unterstreicht die Expertise der Trierer Forschenden bei der Untersuchung historischer Strukturen: "Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschungs- und Dokumentationsstelle SEAL an der Universität Trier haben viel Erfahrung in der Erforschung mehrdimensionaler, geschichtlicher Themen und Zusammenhänge und leisten hier einen wichtigen Beitrag für die Aufarbeitung."

Zeitzeugen gesucht


Bis Ende 2025 werden die Forschenden der Universität Trier noch Fälle sexuellen Missbrauch untersuchen, die in die Zeiträume von 1946 bis 1966 sowie von 2002 bis 2021 fallen. Um ein möglichst umfassendes Bild zu gewinnen, will die Forschungsgruppe über die Auswertung verfügbarer Akten hinauskommen. Dazu sind Gespräche mit Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen (Eltern, Geschwister und Freunde von Betroffenen, Angestellte im Bistum und den Gemeinden sowie Gemeindemitglieder) von großer Bedeutung. "Es ist uns bewusst, dass es schwierig sein kann, über diese Erfahrungen zu sprechen und uns als fremde Personen ins Vertrauen zu ziehen. Wir würden uns freuen, wenn uns weitere Personen ihr Vertrauen schenken und somit dazu beitragen, sexuellen Missbrauch und sexualisierte Gewalt im Bistum Trier umfassend und detailliert aufarbeiten zu können", sagt Lena Haase.

Bericht als PDF


Stellungnahme von Bischof Dr. Stephan Ackermann:

"Heute ist der zweite Zwischenbericht der von Prof. Dr. Lutz Raphael und Dr. Lena Haase durchgeführten historischen Untersuchung "Sexueller Missbrauch von Minderjährigen sowie hilfs- und schutzbedürftigen erwachsenen Personen durch Kleriker/Laien im Zeitraum von 1946-2021 im Verantwortungsbereich der Diözese Trier: eine historische Untersuchung" vorgestellt worden, der die Amtszeit von Bischof Dr. Hermann Josef Spital (1981-2001) in den Blick nimmt. Das Projekt ist von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier (UAK) initiiert.

Der Bericht steht in der Spur des ersten Zwischenberichts vom Dezember 2022 und führt uns erneut auch den Umgang der Bistumsverantwortlichen mit (Verdachts-)Fällen sexuellen Missbrauchs vor Augen. Vor allem anhand der Fallbeispiele wird deutlich, wie Bischof Spital zusammen mit seinen Mitarbeitern agiert hat; aber auch die historisch-vergleichende Einordnung und der Blick auf das Umfeld von Betroffenen helfen, das Geschehene und die Fehler ansichtig zu machen.

In dem Bericht werden auch wieder Zahlen aufgeführt. Sie dienen dazu, das sogenannte Hellfeld zu beziffern. Das ist wichtig und richtig. Sie erinnern mich aber noch einmal schmerzlich daran, dass hinter jeder dieser Zahlen ein Mensch, das heißt ein individuelles Schicksal steht. Dies wird besonders dort drastisch sichtbar, wo der Bericht die gravierenden Folgen des Missbrauchs für die Betroffenen darstellt und auch drei Personen erwähnt, die in zeitlicher Nähe zum erlittenen Missbrauch Suizid begangen haben (vgl. Bericht S. 13). Auch wenn die Umstände und Hintergründe dieser Suizide nicht mehr aufgeklärt werden können, so ist für mich diese Vorstellung unerträglich.

Die vergleichende Einordnung zeigt, dass Bischof Spital anders als noch Bischof Stein sich stärker selbst mit den Fällen befasst hat und sich eine Hinwendung zu den Betroffenen erkennen lässt - auch wenn diese Kontakte nicht immer als empathisch beschrieben werden. Gezielte Vertuschung als Vorgehensweise sieht der Bericht für Bischof Spital nicht - doch immer noch stand der Schutz der Institution über den Rechten und Bedürfnissen der Betroffenen. Zudem zeigen die genannten Beispiele auf, dass die Fälle nicht konsequent in denselben Gremien bearbeitet wurden: Manche Fälle wurden in der Personalkommission beraten, andere im Bischofsrat. Hinzu kamen quälend lange Bearbeitungszeiten.

Aus heutiger Sicht überraschend erscheint der Befund, dass Bischof Spital im Einklang mit dem Kirchenrecht handelte, das den Bischöfen den "Weg der Ermahnung und 'des pastoralen Bemühens' vor Ergreifung von Strafmaßnahmen explizit auferlegt[e]" (vgl. Bericht S. 19/20). Diese pastorale Behandlung, die ich heute als falsche Nachgiebigkeit bezeichnen würde, hatte fatale Folgen. Ein pastoraler Umgang mit Verbrechen ist verfehlt. Dass es oft bei Ermahnungen, Auszeiten oder Versetzungen blieb, zeigt auch die Tatsache, dass es kein kirchenrechtliches Verfahren gegen einen Täter gab.
Dazu passt die Beobachtung des Berichts, Bischof Spital habe sich als "ein Bischof [gezeigt], der zwar zu hartem Vorgehen gegen Priester bereit war, in Fällen von sexuellem Missbrauch jedoch scheinbar den Ernst der Lage nicht begriff" (vgl. Bericht S. 66/67).

Unter den Personen, die zur Amtszeit von Bischof Spital Verantwortung getragen haben, erwähnt der Bericht auch Weihbischof Leo Schwarz, der für unser Bistum, aber auch weit darüber hinaus, eine prägende Persönlichkeit war, die bis heute geschätzt wird. Durch sein Wirken im Bistum und sein starkes weltkirchliches Engagement hat Weihbischof Schwarz sich hohe Anerkennung erworben. Sein unermüdlicher Einsatz für die Armen und Benachteiligten, etwa in Lateinamerika, ist und bleibt unbestritten. Die Autoren der Untersuchung weisen im Zwischenbericht auch darauf hin, dass sie keine Gesamtbeurteilung des Lebens und Wirkens der untersuchten Bischöfe vornehmen (vgl. Bericht S. 65). Dennoch ist für Weihbischof Schwarz zu konstatieren, dass sein Umgang mit der Problematik des Missbrauchs unangemessen war. Wie der Fall D. und auch der Fall Claus Weber aufzeigen, hat Weihbischof Schwarz Verbrechen sexuellen Missbrauchs vertuscht, auch wenn ihm die fatalen Folgen seines Handelns möglicherweise nicht bewusst waren. Der Zwischenbericht belegt auch Kontakte des Weihbischofs mit Betroffenen und Empathie für die Personen. Doch die Empathie für die Priester-Täter und die Sorge, den Ruf der Priester und der Kirche zu schützen, waren ganz offenkundig stärker.

Einmal mehr zeigt der Bericht, wie Kirchenbilder, Rollenverständnisse und Machtstrukturen in der katholischen Kirche Missbrauch begünstigt sowie Aufklärung und Ahndung verhindert haben. Das machte zugleich einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen unmöglich. Diese Zusammenhänge lässt uns das laufende Aufarbeitungsprojekt immer detaillierter sehen. Auf dieser Grundlage will ich mich weiterhin zusammen mit den fachlich Verantwortlichen im Bischöflichen Generalvikariat und mit vielen Menschen in den Einrichtungen und an den Orten von Kirche in unserem Bistum dafür einsetzen, dass die Kirche einen sicheren Raum darstellt für die Menschen, die zu uns kommen.

Welche Anstrengungen wir dazu unternehmen und wie wir die Hinweise umsetzen, die die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich der Diözese Trier (UAK) uns gibt, dokumentieren wir seit letztem Jahr in den jährlichen Berichten zu Prävention - Intervention - Aufarbeitung (P.I.A.) https://www.bistum-trier.de/hilfe-soziales/hilfe-bei-sexualisierter-gewalt/  "

Das meint die Unabhängige Aufarbeitungskommission:

"Dieser Bericht bestätigt und vertieft die bisherigen Erkenntnisse der UAK. Das Handeln der Verantwortlichen des Bistums war auch in der Ära Spital im Wesentlichen dadurch geprägt, das Wohl und die Akzeptanz der Kirche zu schützen – es ging wohl auch um die Erhaltung von gesellschaftlichem Status und Anerkennung des Klerus. Der im Bericht dargestellte klerikale Korpsgeist über Bistums- und Landesgrenzen hinweg belegt diesen Befund.

Erneut erschreckt die Verständnislosigkeit der Verantwortlichen für die Betroffenen der Taten. Die dargestellten Einzelfälle – die Erwähnung von drei Suiziden Betroffener – die oft lebenslangen seelischen Beschädigungen – ein solches Elend, ausgelöst von Tätern, die sich als Überbringer guter Botschaften gerierten – diese Ohnmachtserfahrungen sind für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Die Schilderungen mündlicher und schriftlicher Aussagen damaliger Verantwortlicher verstärken diese Erkenntnisse. Nach Ansicht der Unabhängigen Aufarbeitungskommission sind dies klare Belege dafür, dass es sich dabei um Mitschuldige zumindest an den Verbrechen handelt, die überführte Täter nach ihrer Belassung im Amt begangen haben.

Unzweifelhaft belegt der vorliegende Bericht, dass es im Laufe der Amtszeit von Bischof Spital Maßnahmen gegenüber Tätern gab, die diesen den weiteren beruflichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen erschwert haben. Gleichwohl gab es aber auch unwirksame und beinahe schändliche Maßnahmen, die durch die Bistumsleitung nach Bekanntwerden von Taten gegenüber den Tätern ergriffen wurden. Allen voran Versetzungen von Tätern – bis in andere Länder und Kontinente – zum Teil unter Nutzung von Hilfsorganisationen, die durch Gelder wohlmeinender Spender gestützt wurden – ein unglaublicher Vorgang.

Es stellt sich die Frage, welche persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für die Ernennung von Führungspersonal der Kirche galten. Der im Bericht dargestellte Dilettantismus rund um Bischof Spital, speziell beim Umgang mit den untauglichen Strukturen im Personalwesen, aber auch die Vertrauensseligkeit von Spital in seine Berater zeugen zumindest von Sorglosigkeit bei der Ausübung von Leitungsrollen.

Erneut weist der Bericht aber auch auf die unfassbare Gleichgültigkeit an den Nahtstellen zwischen staatlicher Aufsichtspflicht und innerkirchlichem Handeln hin. Es stellt sich angesichts der drei Täter, die in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen ihre Übeltaten getrieben haben, die Frage nach dem Selbstverständnis und der Bereitschaft zur Aufgabenerfüllung der jeweils aufsichtsführenden Behörden.
Sicher ist ein großer Teil der Untätigkeit, die heute kaum nachvollziehbar ist, dem jeweiligen Zeitgeist geschuldet. Trotzdem gab es - ab einem Zeitpunkt auch durch den geänderten Zeitgeist - Widerstand gegen das Handeln der Täter und der Institution. Den Frauen und Männern, die sich unermüdlich für die Betroffenen eingesetzt haben, gilt dafür großen Dank.

Es bleibt die Aufgabe von Kirche und jetziger Bistumsleitung, sich aktiv für das Aufbrechen von weiterhin ungeeigneten Strukturen und die Schaffung einer allgemeinen Kultur der Achtsamkeit einzusetzen. Das erscheint ebenso dringlich wie gewiss erforderliche Entschuldigungen und Anerkennungsleistungen."

 


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