Fall Dillinger erschüttert Bistum Trier
Edmund Dillinger, Ehrendomherr und Bundesverdienstkreuz-Träger, starb im November 2022. Nach seinem Tod fand sein Neffe Steffen Dillinger im Haus des Onkels im saarländischen Friedrichsthal umfangreiches fotografisches und filmisches Material, das jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch von Jugendlichen belegt, wie die Rhein-Zeitung zuerst berichtete.
Die Aufnahmen sollen zwischen den 1960er Jahren bis in die 2000er Jahre entstanden sein. In diesem Zeitraum seien die Motive immer drastischer und expliziter geworden. Der Neffe berichtet in einem Video der Zeitung von »eindeutig pornografischem Material«. Die Bilder zeigten, dass der Onkel sich »immer mehr getraut« habe und »immer weiter enthemmt abgerutscht« sei. Er habe zudem noch alles akribisch in Tagebüchern dokumentiert.
Schon 1971 habe es erste Hinweise auf das Gebaren des Geistlichen gegeben. Der damalige Trierer Bischof Bernhard Stein hatte den Mann daraufhin lediglich aus Rheinland-Pfalz, wo er unter anderem in Bitburg und Hermeskeil tätig war, nach Nordrhein-Westfalen versetzt. Er blieb aber bis 1999 im Schuldienst.
Erst 2012 wurde ihm nach neuen Vorwürfen der Umgang mit Kindern und Jugendlichen vom Bistum Trier untersagt und die Staatsanwaltschaft Trier informiert. Diese habe ihre Ermittlungen aber wegen Verjährung eingestellt.
»Bekannte Taten nur die Spitze des Eisbergs«
»Die Offenlegung des Falles Edmund Dillinger (...) zeigt, was die wissenschaftlichen Studien zur sexualisierten Gewalt neben dem bekanntgewordenen Hellfeld mit dem ‚Dunkelfeld‘ meinen: Die bekannten Taten sind nur die Spitze des Eisbergs, die Zahl der Taten ist wesentlich höher«, formuliert die Trierer Missbrauchs-Opfer-Vereinigung MissBiT.
Wie Steffen Dillinger dem SWR berichtete, habe er sich nach dem Fund an den Trierer Bischof Stephan Ackermann gewandt, der ihn an die Unabhängige Aufarbeitungskommission des Bistums verwies. Deren Vorsitzender Gerhard Robbers habe ihm geraten, das Material zu verbrennen – da der Besitz und das Zeigen der Bilder eine Straftat darstelle.
»Ein unsäglicher Vorgang, der Robbers endgültig disqualifiziert«, urteilt MissBiT. »Robbers war Justizminister und muss wissen, dass Beweismaterial auch dienlich ist, wenn es nicht mehr zu einem gerichtlichen Verfahren kommen wird«, erläutert Jutta Lehnert für den Vorstand von MissBiT. »Für die Beantragung von Entschädigungszahlungen oder einer Klage wegen Amtspflichtverletzung eines Bischofs können solche Beweise wichtig sein.«
Nach der Einschätzung von MissBiT zeige Robbers damit erneut, dass ihm die Opferperspektive fehle, die für sein Amt unverzichtbar sei. MissBiT fordert seinen Rücktritt bzw. seine Entlassung aus der Aufarbeitungskommission.
»Kinderpornographisches Material«
Dazu Corinna Rüffer, Grüne Bundestagsabgeordnete aus Trier: »Dass ausgerechnet Gerhard Robbers als Chef der Trierer Aufarbeitungskommission geraten haben soll, belastendes Material zu verbrennen, ist so unglaublich, dass mir die Worte fehlen. Wenn dieser Vorwurf zutrifft, darf er sein Amt nicht einen Tag länger ausüben und muss umgehend zurücktreten. Der Vorgang wäre ein weiterer Beleg dafür, dass die Aufarbeitung der kirchlichen Missbrauchsgeschichte nicht länger der Katholischen Kirche überlassen werden darf. Aufklärung unter ihrer Federführung kann nicht unabhängig sein, weil der Schutz der eigenen Institution immer Priorität hat. Wir brauchen dringend eine tatsächlich unabhängige, staatliche Wahrheitskommission.«
Gerhard Robbers wiederum bestreitet, dass er Steffen Dillinger geraten habe, das kinderpornographische Material zu verbrennen. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Audiomitschnitt des Gespräches. Die zurzeit geltende Rechtslage sei aber tatsächlich unzureichend, da der Besitz solchen Materials strafbar sei. Man prüfe Möglichkeiten einer rechtmäßigen Sicherung.
Doppelleben in Afrika
In der Stellungnahme des Bistums Trier erklärte Bischof Stefan Ackermann: durch die Berichterstattung und die darauffolgenden Meldungen und Hinweise werde nun deutlich, dass eine Befassung nur der Unabhängigen Kommission nicht ausreichend ist. Es sei wichtig, dass alle vorhandenen und neuen Informationen zusammengetragen werden, um die Dimension des Falles wirklich zu erfassen, und dann entsprechend aufzuarbeiten. Damit hat Bischof Ackermann Generalvikar Dr. Ulrich Graf von Plettenberg beauftragt.
Es hätten sich Hinweise auf ein Doppelleben Dillingers unter falschen Namen in Afrika ergeben sowie Hinweise auf Vorwürfe, die über die Vorwürfe aus den 1960er und 1970er Jahren hinausgehen, erklärt von Plettenberg und kündigte auch ein Gespräch mit Gerhard Robbers an.
Gab es Mittäter?
Die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot gab bekannt, dass eine Ombudsstelle für mögliche Missbrauchsopfer des Kirchenmannes eingerichtet werde – Dillinger hatte jahrzehntelang am Gymnasium Saarlouis unterrichtet. »Ich empfinde es als zutiefst beschämend, wie ein Mensch, über dessen Straftaten offensichtlich kirchliche Verantwortliche seit Jahrzehnten Bescheid wussten, trotzdem in einem Umfeld eingesetzt wurde, in dem er Zugang zu Kindern und Jugendlichen hatte«, kritisierte sie die kirchlichen Verantwortlichen im Bistum Trier.
Über die Opfer war bei Redaktionsschluss am Mittwoch noch nichts bekannt. Wie die Rhein-Zeitung meldete, prüft die Staatsanwaltschaft Saarbrücken aktuell, ob es Mittäter gab. Außerdem stehe der Verdacht auf einen Kinderschänderring im Raum.
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Stellungnahme des Bistums Trier zum Fall Edmund Dillinger
"In der vergangenen Woche (13. April) hat sich gezeigt, dass der Fall des Trierer Bistumspriesters Edmund Dillinger Ausmaße hat, die den heute Verantwortlichen im Bistum bislang nicht bekannt waren. Bischof Dr. Stephan Ackermann erklärt: 'Als der Neffe des im November 2022 verstorbenen Edmund Dillinger sich zu Beginn dieses Jahres an mich gewandt und mir berichtet hat, dass er kinderpornografisches Material im Haus des Onkels gefunden hat, haben wir besprochen, die Aufarbeitungskommission zu Rate zu ziehen. Schon das wenige Material, das er mir gezeigt hat, war erschütternd.'
Dass es eine Aufarbeitung braucht, sei bereits in dem Gespräch klar geworden. Durch die Berichterstattung und die darauffolgenden Meldungen und Hinweise werde nun aber deutlich, dass eine Befassung nur der Unabhängigen Kommission nicht ausreichend ist. Es sei wichtig, dass alle vorhandenen und neuen Informationen zusammengetragen werden, um die Dimension des Falles wirklich zu erfassen, und dann entsprechend aufzuarbeiten. Damit hat Bischof Ackermann den Generalvikar des Bistums Trier, Dr. Ulrich Graf von Plettenberg, beauftragt.
Während des Wochenendes hätten sich unter anderem Hinweise auf ein Doppelleben in Afrika von Dillinger unter falschen Namen ergeben sowie Hinweise auf Vorwürfe, die über die Vorwürfe aus den 1960er und 1970er Jahren hinausgehen, die in die kirchenrechtliche Voruntersuchung aus dem Jahr 2012 eingeflossen sind, erklärt von Plettenberg.
Der Generalvikar kündigt an, heute (17. April) zum einen mit der Unabhängigen Kommission Kontakt aufzunehmen. Die Kommission hatte eine erste Studie zur Amtszeit von Bischof Stein veröffentlicht, in dessen Verantwortung die bislang bekannten Vorwürfe gegen Dillinger fallen, so dass hier möglicherweise bereits Unterlagen vorliegen, die die Kommission zur Verfügung stellen kann.
Zur Kritik von MissBit am Sprecher der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum Trier, Prof. Robbers, erklärt der Generalvikar: 'Ich werde hierzu das Gespräch mit Herrn Prof. Robbers suchen, um eine Einordnung vornehmen zu können.'
Zudem wird der Generalvikar mit der Bildungsministerin des Saarlandes Kontakt aufnehmen, um zu klären, ob es eine gemeinsame, unabhängige Kontaktstelle für mögliche Betroffene geben kann. Die saarländische Bildungsministerin Streichert-Clivot hatte bereits die Schaffung einer solchen Stelle angekündigt. Zur Kritik der saarländischen Bildungsministerin, das Bistum habe ihr Haus nicht angemessen eingebunden, sagte von Plettenberg: 'Diese Kritik nehme ich an und ernst - wir sind auf eine gute Zusammenarbeit in diesem Fall angewiesen und ich hoffe, dass dies weiterhin möglich ist.'
Bischof und Generalvikar bitten mögliche Betroffene, sich an die Ansprechpersonen des Bistums ( https://www.bistum-trier.de/hilfe-soziales/hilfe-bei-sexualisierter-gewalt/ansprechpersonen/ ) zu wenden. Wer darüber hinaus Hinweise oder Informationen zu dem Fall hat, kann sich auch ab 18. April per Mail an intervention@bistum-trier.de wenden.
Die beruflichen Stationen Dillingers sind nachfolgend aufgeführt. Derzeit werde auch geprüft, wie eventuelle Betroffene aus Afrika, wo Dillinger ebenfalls engagiert war, erreicht werden können, sagte von Plettenberg. Generalvikar von Plettenberg bittet um Verständnis, dass derzeit keine Einzelfragen beantwortet werden können: 'Im Moment erreichen uns viele neue Informationen und Hinweise, die wir zunächst auswerten und zusammenführen müssen.' Der Generalvikar kündigt an, regelmäßig zu informieren."
Berufliche Stationen von Edmund Dillinger
- Ab Juli 1961 Kaplan in Saarbrücken St. Johann
- Ab August 1963 Kaplan in Saarlouis-Roden Maria Himmelfahrt
- Ab Juli 1965 Kaplan in Bitburg St. Peter
- Ab August 1966 Religionslehrer am Neusprachlichen Gymnasium in Hermeskeil und Subsidiar in Hermeskeil St. Martin
- 1970-1982 Studentenseelsorger des Cartellverbandes der Deutschen Kath. Studentenverbindung (CV) auf Bundesebene
- Ab Dezember 1970 Beurlaubt zum Studium an der Universität Köln
- Ab April 1971 Hausgeistlicher in Leverkusen (Opladen)
- Ab August 1973 Religionslehrer am Privaten Katholischen Gymnasium Marianum in Leverkusen (Opladen)
- Ab November 1974 Dozent am Religionspädagogischen Institut des Erzbistums Köln
- Ab August 1979 bis August 1999 Religionslehrer am Staatlichen Max-Planck-Gymnasium Saarlouis