Claudia Neumann

»Die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu und der Respekt rapide ab«

Trier. Polizeiseelsorger Hubertus Kesselheim erzählt von seiner Arbeit

Hubertus Kesselheim ist mit Leib und Seele seit über 20 Jahren Polizeiseelsorger. Er bietet jährlich eine Motorradwallfahrt für Polizeibeamte an. Das Foto entstand auf der Rückfahrt aus Assisi.

Hubertus Kesselheim ist mit Leib und Seele seit über 20 Jahren Polizeiseelsorger. Er bietet jährlich eine Motorradwallfahrt für Polizeibeamte an. Das Foto entstand auf der Rückfahrt aus Assisi.

Bild: Bistum

Am 16. Februar wurde Trier von der ausufernden Gewalt gegen Polizeibeamte bei einem Einsatz vor einer Diskothek erschüttert. Aus dutzenden Städten wurde über Silvester verstärkte Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte vermeldet. Ganz allgemein ist die Arbeit der Polizei eher von schlimmen Eindrücken im Dienstalltag geprägt – doch was löst das bei den Menschen in Uniform aus und wie kann seelischer Beistand aussehen? Genau damit beschäftigt sich seit über 20 Jahren Polizeiseelsorger Hubertus Kesselheim. Er begleitet Mitarbeitende der Präsidien Trier und Koblenz sowie aus dem Saarland und lehrt an der Hochschule der Polizei Rheinland Pfalz.

Mehr Zurückhaltung von der Politik wünschenswert

Wenn Beamte in besonders belastende Situationen wie jene an Weiberfastnacht hineingeraten, wird ein System der Krisenintervention aktiviert, zu dem unter anderem auch die Betreuung durch Seelsorger und Sozialberaterinnen gehören, erklärt Kesselheim. Und er bestätigt: »Die Feindseligkeit gegen Beamte und Rettungskräfte nimmt definitiv zu und der Respekt nimmt rapide ab. Beschimpfungen, Beleidigungen, die Gewaltbereitschaft.« Das erfahre er beispielsweise als Hochschullehrer auch bei Reflexionsgesprächen, wenn die Studierenden aus ihren Praktika in den Dienststellen berichten. »Diese Art von Autorität wird nicht mehr akzeptiert, und zwar durch alle sozialen Schichten hindurch. Beispiel Verkehrskontrollen, wo es Fahrer mit richtig dicken Schlitten gibt, die Null Einsicht zeigen, freche Antworten geben und dann noch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Beamten einlegen.« Bei dem Einsatz vor der Trierer Diskothek hätten selbst erfahrene Kollegen geschildert, dass sie so einen Gewaltausbruch noch nicht erlebt haben. Von der Politik wünsche er sich in solchen Fällen mehr Zurückhaltung – mit möglichst markanten Aussagen helfe man der Polizei nicht – gerade, wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen und die Einsätze ausgewertet seien. »Abwarten, bis Dinge wirklich klar sind. Und ehrlich zu den Bürgern sein: Es gibt keinen absoluten Schutz vor Gewalt oder Terror.«

Die Beamten können sich jedoch nicht nur während der Krisenintervention an Kesselheim wenden. »Das ist unglaublich vielseitig. Wir haben signifikant viele Menschen in der Polizei – vor allen nach längeren Dienstjahren – bei denen sich eine Vielzahl von Ereignissen angesammelt hat, die dann zu mulmigen Gefühlen, Schlafstörungen, Zwangs- und Angststörungen oder Depressionen führen. Oft sehen sie die Seelsorge als erste Anlaufstelle, weil wir einen geschützten Raum bieten, wo sie über alles sprechen können.« Von der privaten Lebenskrise, etwa Krankheiten oder Sterbefällen von Angehörigen, über die Bewältigung des Dienstalltages bis hin zur Sterbebegleitung – die Gründe für Seelsorge-Gespräche mit Kesselheim sind sehr unterschiedlich.

Erfüllender aber auch belastender Beruf

Auf der einen Seite sei der Polizeiberuf sehr wichtig und erfüllend. Wenn es gut laufe, könnten die Beamten dabei einen großen Teamgeist erfahren. Auf der anderen Seite sage er den jungen Beamten oft: »Ihr habt euch für einen bekloppten Beruf entschieden. Ihr müsst dahin, wo alle anderen lieber weglaufen oder wegsehen, wovon keiner ein Foto machen würde. Aber ihr müsst es dokumentieren, ihr müsst bei der Leichenschau dabei sein, bei schwierigen Einsätzen die eigene Gesundheit riskieren.« Dabei begleite er sie auch des Öfteren. Als Seelsorger müsse man vor allem Vertrauen aufbauen und das erreiche man nur durch Präsenz. »Ich hatte viele krisenhafte Einsätze, die wirklich unter die Haut gingen, wo die Polizisten in Lebensgefahr waren. Ein Beispiel war, dass jemand auf Beamte losging, weil er den Wunsch hatte, erschossen zu werden. So etwas traumatisiert.« Leider habe er auch selbst Suizide in der Polizei erleben müssen, weil Beamte den Druck nicht mehr aushielten. Oft bemerkten vorher selbst enge Kollegen nichts, weil die Polizisten darauf trainiert seien, funktionieren zu müssen und ihre Gefühle stark zu kontrollieren. »Das wird in der Seele gespeichert und greift sich irgendwann selbst Raum. Es kann zu den genannten Störungen führen, aber auch zu Sarkasmus und Abstumpfung.«

Persönlicher Spagat für die Beamten

Im Berufsethikunterricht diskutiere er mit den Studierenden an der Polizeihochschule oft die Spanne zwischen Verhältnismäßigkeit und Durchsetzungsfähigkeit. »Immer wenn Polizeibeamte selbst Zwang anwenden, wissen sie, dass sie an den Pranger kommen können. Das geht ihnen permanent im Kopf rum, sie sind teilweise gehemmt in ihrer Arbeit. Diesen Spagat muss jeder einzelne Beamte für sich lösen und das ist eine hohe Belastung.« Kesselheim sagt, die wenigsten Beamten sind gläubige Kirchgänger, aber ein Glaube an etwas »Höheres« sei bei vielen noch vorhanden. Über den Tod komme er häufig ins Gespräch über Glauben, über Sinn, über das Böse. Und auch darüber, wie sich die Beamten selbst vor einer inneren moralischen Instanz verantworten können.


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