Die Solidarität und das Engagement der Helfer ist immens und die Ahrtaler sind dankbar. Doch es muss gelenkt werden.
Kreis (mjo). Wegen der Corona-Pandemie durften sie lange Zeit keine Freunde treffen, statt Schule vor Ort war »Homeschooling« Pflicht und Sporttraining gab es auch nicht. Dann kam die Flut – viele verloren ihr Zuhause, Spiel- und Sportplätze wurden zerstört und auch etliche Schulen und Kindergärten sind nicht mehr nutzbar. Besonders die jungen Kinder im Ahrtal haben ihr bisheriges Leben in Ausnahmesituationen wahrgenommen. In Dernau hat unter anderem Kindertrauerbegleiterin Melanie Hinze, Leiterin des Projekts »Lacrima Rhein-Main« der Johanniter-Unfall-Hilfe, Regionalverband Rhein-Main, viel Zeit mit den Kindern verbracht. Generell würden die Kinder mit der Flutkatastrophe besser umgehen als die Erwachsenen, sagt sie: »Kinder haben noch nicht so ein ausgeprägtes Konsequenzen-Denken wie Erwachsene. Und sie haben noch nicht so viele Erinnerungen an den Ort.« Trotzdem ist die Situation für die Kinder belastend. »Auch die Kinder trauern um ihr Dorf. Und viele haben Angst, wenn es regnet«, berichtet Melanie Hinze. Die zerstörten Spiel- und Sportplätze seien nicht das gewesen, was den Kindern gefehlt habe. Anfangs sei es für die Kinder ein spannendes Abenteuer gewesen, sie seien in »Banden« herumgerannt. » Was fehlt, ist das Zuhause«, weiß Melanie Hinze. Dass die sicheren Rückzugsräume und deren Geborgenheit weggebrochen sind, belastet die Kinder mindestens genauso wie die Erwachsenen. Zwar gibt es immense Spenden an Spielzeug und anderen Dingen für die Kinder, worüber sie sich sehr freuen. »Aber es sind eben nicht die eigenen Dinge. Und die Kuscheldecke riecht nicht wie die eigene«, sagt Melanie Hinze.
Weihnachtsgeschenke im Überfluss
Am Anfang und gerade zur Weihnachtszeit gab es immens viele Spenden- und Geschenkaktionen. Unzählige Weihnachtsgeschenke mit Spielzeug haben das Ahrtal erreicht. »Es gibt im Ahrtal in diesem Jahr wohl so viele Geschenke wie noch nie«, schrieb Jörg Meyrer, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler und Dechant, am vierten Adventswochenende in einem lesenswerten Text auf Facebook. Ähnlich sei es mit den Weihnachtsbäumen, die – oft geschmückt – aus ganz Deutschland angeliefert werden. »Ich sehe das tolle Engagement so vieler Männer, Frauen und Kinder, die sich wochenlang Gedanken machen, packen, und dann auch weite Wege auf sich nehmen...«, schrieb Meyrer: »Und dann überkommt mich bei den Bergen und der Fülle ein ganz seltsames Gefühl: Brauchen die Menschen das? Jetzt? Macht das die Seele satt?« Er wolle nicht mosern und schon gar nicht undankbar sein. »Aber ich glaube: es ist zu viel. Es ist kaum zu verkraften.« Ähnliches berichtet ein Ortsbürgermeister aus dem Ahrtal. So seien dort an einem Tag drei Weihnachtsmänner vorbeigekommen. Beim dritten habe man noch Leute herbeitelefonieren müssen, damit er nicht alleine da stehe. Das Engagement sei toll, aber manchmal sei es zuviel. Das ist auch die Erfahrung von Bigsi Choi von der Helfer Stab gGmbH. Die Eltern seien sehr dankbar gewesen. Doch teilweise sei es einfach zu viel gewesen. »So viele Zwei- bis Sechsjährige hat das gesamte Ahrtal nicht«, sagt sie.
Abgestimmtes Helfen
Bigsi Choi wünscht sich nun ein abgestimmtes Helfen. »Jetzt braucht es personalisierte Geschenke«, sagt sie. Eine gute Methode seien die Wunschbäume gewesen, die etliche Helfer und Organisatoren an verschiedensten Stellen inner- und außerhalb des Ahrtals aufgestellt hatten. Dort konnte jedes Kind einen konkreten Wunsch aufschreiben und anhängen, der dann von Spendern erfüllt werden konnte. Zudem gibt es zahlreiche Gruppen, die Wünsche sammeln und Aktionen – nicht nur für Kinder – koordinieren. »KinderspAHRstart«, »Hoffnungswerk«, »Eifel für Eifel« und »Hochwasser Hilfe Aar Einrich« sind nur einige der zahlreichen Hilfsgruppen, die über die Sozialen Netzwerke wie Facebook zu finden sind. Auskünfte über benötigte Dinge könnten auch Kitas, Schulen und die Gemeindeverwaltungen geben, sagt Bigsi Choi. Auch Geldspenden seien jetzt sinnvoll. Oder sich mit mehreren Helfer- und Spendergruppen, von denen ebenfalls auf Facebook etliche zu finden sind, zusammenzutun, um größere Geschenke zu ermöglichen. »Zusammen kann man viel mehr bewirken«, sagt Bigsi Choi. Durch die zahlreichen Geschenke sei etlichen Eltern auch die Möglichkeit genommen worden, ihren Kindern selbst zum Weihnachtsfest in dieser schwierigen Zeit eine Freude zu machen. Die meisten Geschenkaktionen richten sich an jüngere Kinder. Wenn das jüngere Geschwisterkind wieder einmal mit einem gespendeten Geschenk aus der Schule kommt, sei das für die Teenager frustrierend. »Wir werden vergessen« – das sei der Eindruck vieler Teenies, so die Erfahrung von Bigsi Choi. Dabei seien sie ja auch noch Kinder. »Sie sind nur nach der Flut zum Erwachsenwerden gezwungen worden. Hier im Ahrtal werden wir im nächsten Jahr auf jeden Fall mehr Aktionen für Jugendliche organisieren«, verspricht sie.