Crash-Kurs fürs Leben

Um schwere Unfälle zu verhindern, geht die Polizei bei jungen Menschen neue Wege. Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Helfer von der Notfallnachsorge sprechen über ihre schockierenden Erlebnisse und emotionale Belastungen.
Aufrüttelnd: Oliver Pick, Ehrenamtlicher bei der Notfallnachsorge, berichtet Fahranfängern im Bitburger Haus der Jugend, wie es ist, wenn man Hinterbliebenen Todesnachrichten überbringen muss. Foto: S. Schönhofen

Aufrüttelnd: Oliver Pick, Ehrenamtlicher bei der Notfallnachsorge, berichtet Fahranfängern im Bitburger Haus der Jugend, wie es ist, wenn man Hinterbliebenen Todesnachrichten überbringen muss. Foto: S. Schönhofen

Im Bitburger Haus der Jugend herrschte am Freitag vergangener Woche beklommene Stimmung. 250 Schüler der berufsbildenden Theobald-Simon-Schule Bitburg hörten zu, was Einsatzkräfte ihnen von einem Unfall schilderten, der am 3. Oktober 2007 auf der Landstraße kurz vor Wallendorf einen 19-Jährigen aus Biesdorf das Leben kostete. "Wir wollen euch mitnehmen in eine reale Einsatzlage", erklärt Polizeioberrat Patrick Brummer von der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz. Ziel ist es, dadurch die Einstellung zum Fahrverhalten zu beeinflussen. Schon der Einstieg in das Präventionsprojekt "Crash-Kurs" mit Filmszenen von tödlichen Unfällen konfrontiert die Schüler mit der erschütternden Realität. Dann erzählen die Polizisten Rolf Deviscour und Uwe Ehlenz, beide von der PI Bitburg, offen und ungeschönt, wie der 3. Oktober 2007 für sie verlief, von dem Funkspruch, mit dem sie zum Unfallort gerufen wurden, bis zum Zeitpunkt, als sie den Eltern die Todesnachricht überbringen mussten. Wie sagt man es Eltern, dass ihr Sohn nicht mehr nach Hause kommen wird? "Man kann sich Worte zurecht legen. Man will eigentlich weg, aber man kann nicht", gibt Uwe Ehlenz Einblick in seine Empfindungen. Und er erzählt von den Reaktionen der Angehörigen: "Die Menschen wollen es nicht wahrhaben. Sie schreien. Manche boxen uns, andere fallen uns in den Arm." Als Polizisten müssten sie dann funktionieren, obwohl ihnen selber zum Heulen zumute sei. "Am liebsten wäre uns, es wäre das letzte Mal", richtet er sich eindringlich an die jungen Menschen, zu denen er spricht. Notfallsanitäterin Jennifer Zimmer kann wie die anderen Einsatzkräfte die Bilder nicht vergessen: "Jedes Mal, wenn ich an dem Kreuz vorbei fahre, ist der Gedanke da, wie es gewesen ist." So wie sie sich bei jeder Alarmierung frage: "Ist es jemand, den ich kenne?" Armin Dockendorf, seit 30 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr Körperich, hat das erlebt. 2007 musste diese Erfahrung auch sein junger Kollege machen, der mit ihm zum Unfallort kam und das Auto erkannte. Wer diesen Schock erlebt, bekommt seit einigen Jahren Hilfe von Ehrenamtlichen in der Notfallnachsorge. Einer von ihnen ist Oliver Pick aus Bitburg. Seine Hauptaufgabe ist es, gemeinsam mit der Polizei Todesnachrichten zu überbringen. Er erzählt, wie es für ihn war, als er das 2009 tun musste. Damals war der 19-jährige Carsten aus Bitburg mit einem Sportwagen von der Straße abgekommen. "Seine Freundin weinte, flehte, dass man ihr Carsten wiederbringen soll." Später habe sie ihm von den gemeinsamen Träumen erzählt, die sie gehabt hatten. Was sie sich für ihre eigene Zukunft wünschen, haben die Berufsschüler auf Zetteln notiert und an einen großen Luftballon geklebt. Zwei von ihnen lesen vor, "Familie, Haus, Lottogewinn, Ford Mustang, Motorradführerschein...", bis plötzlich ein lauter Knall alle aufschreckt. Der Ballon ist geplatzt und innerhalb von Sekunden liegen die Träumen am Boden. Symbolik! "Nehmt keine Drogen, fahrt nicht, wenn ihr Alkohol getrunken habt, spielt nicht am Handy, schnallt euch an", appelliert Brummer an die jungen Zuhörern, "damit eure Träume in Erfüllung gehen können". Die schockierende Wirkung ist beabsichtigt. Erschütternde Darstellungen sollen nachdenklich machen und einen nachhaltigen Effekt erzielen. Psychologen der Polizei-Hochschule haben 2015 die Wirkung bei 700 Schülern evaluiert und festgestellt, dass auch ein halbes Jahr nach dem "Crash-Kurs" noch eine Einstellungsänderung vorhanden gewesen sei. Ob sich das auch im Verhalten niederschlage, ließe sich leider nicht beantworten, so Brummer.


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