Hilferuf einer Corona-Mama
Die Redaktion der ARD-Sendung Kontraste plante gerade einen Beitrag zum Thema "Retraditionalisierung", als ein sehr persönlicher und emotionaler Text vonClaudia Klemt auf Umwegen zufällig im E-Mail Postfach der verantwortlichen Redakteurin, selbst Mutter und aktuell im Schlafzimmer-Homeoffice arbeitend, landete. Die vielbeschäftigte Kontraste-Redakteurin kämpfte sich durch das aus Wut und Verzweiflung heraus entstandene elf DIN-A4 Seiten lange Feature der Mendigerin und fand es gut. Und dann ging alles ganz schnell. Freitagmittag: erster Anruf der Redakteurin, Mittwochmorgen: Filmteam bei der Familie vor Ort, Mittwochnachmittag: alles im Kasten. Zu sehen sein wird im fertigen Beitrag ein zwei- bis dreiminütiger Zusammenschnitt aus dem Alltag der vierköpfigen Familie. Denn es werden mehrere Mütter portraitiert, um möglichst ein breites Spektrum der ganz unterschiedlichen Herausforderungen darzustellen, die Familien und hier insbesondere die Mütter derzeit meistern müssen. Angefangen vom Homeschooling als HobbylehrerIn ohne pädagogische Ausbildung, über die alleinverantwortliche Kinderbetreuung ohne externe Unterstützung von KiTas, Schulen, Großeltern, Tagesmüttern (und -vätern) oder BabysitterInnen, bis hin zu nicht eingerichteten Büros fürs Homeoffice oder das "bisschen" Haushalt, das auch noch zwischendurch erledigt werden will. Das Corona-Familienleben "Unser Alltag ist aktuell alles andere als strukturiert. Vieles wie zum Beispiel Schlafrhythmus, Essenszeiten, Art der Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, oder der Fernsehkonsum ist uns im Laufe der mittlerweile elf Wochen ohne KiTa abhandengekommen oder aus dem Ruder gelaufen", berichtet die Mendigerin. "Entstanden ist am Drehtag ein sehr persönlicher und teilweise intimer Einblick in unser Corona-Familienleben: An der ein oder anderen Stelle werde ich mich sicher unwohl fühlen und für die teilweise chaotischen Zustände vor allem im Büro und Keller schämen, aber so ist die momentane Realität. Nicht nur bei uns", ergänzt sie. Warum spielt die Fußball-Bundesliga wieder? In ihrem privaten Umfeld kennt sie viele Fälle, in denen die Situationen wesentlich prekärer sind als ihre eigene: Alleinerziehende oder nicht Alleinerziehende in systemrelevanten Berufen; kreative Freiberuflerinnen, die nicht oder nur eingeschränkt arbeiten können, weil sie zu Hause ihre kleinen Kinder betreuen oder größere "beschulen" sollen; Mütter, die neben Familie und Haushalt zusätzlich kranke Angehörige pflegen; Frauen die ihre Säuglinge gerade in eine ungewisse Viruswelt geboren haben und Familien, denen finanzielle Einbußen entstehen, weil sie zum Beispiel von Kurzarbeit betroffen sind. Claudia Klemt ist dankbar, dass ihr das Politikmagazin stellvertretend für viele Mütter in der Corona-Ausnahmesituation eine Plattform geboten hat, auf die Situation in den Familien aufmerksam zu machen. Und sie ist immer noch ein wenig wütend, weil sie findet, „dass es nicht sein kann, dass zuerst die Bundesliga wieder anfängt zu spielen, bevor nicht intelligente, kreative Lösungsmöglichkeiten für die Betreuung, Bildung, soziale und psychische Entwicklung des Nachwuchses – immerhin die SteuerzahlerInnen von morgen – diskutiert und angeboten werden, nur weil die Lobby der Profisportler finanziell besser aufgestellt und schlagkräftiger ist als die von rund 13 Millionen Kindern in Deutschland." Mehr Home für Frauen - mehr Office für Männer Immerhin gebe es in der Zwischenzeit erste Ansätze in allen Bundesländern, wie der weitere Betreuungs- und Schulalltag im "eingeschränkten Regelbetrieb" verantwortungsvoll und der Gefährlichkeit des Virus Rechnung tragend gestaltet werden kann. Retraditionalisierung bezeichnet einen Rückschritt in der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, der von WissenschaftlerInnen – aktuell verursacht durch die Pandemie – auch in Deutschland prognostiziert wird: mehr Home für die Frauen, mehr Office für die Männer. In der Regel sind es die Frauen, die im Rahmen der Familiengründung und Geburt eines Kindes beruflich aussteigen, kürzer treten, in Teilzeit gehen, ihre Karriere auf Eis legen oder gelegt bekommen. Denn auch viele ArbeitgeberInnen unterstellten, dass es nach wie vor die Mütter sind, die für Haus- und Care-Arbeit die Hauptverantwortung tragen. Im Zuge dessen liegt es auf der Hand, dass die Männer in den durchweg besser bezahlten, oft klassischen "Männerberufen" im Vergleich zur Partnerin mehr zum Familieneinkommen beitragen. Da erscheine es schon aus finanzieller Sicht in einer Krisensituation sinnvoller, dass der Mann weiter arbeitet und die Frau sich stärker um Familie und Haushalt kümmert. Das vollständige Feature ist bei Facebook abrufbar: www.facebook.com/claudia.muller Foto: privat