Edith Billigmann

Vera Schneevoigt: »Wir können Zukunft«

Vera Schneevoigt, eine der wenigen Frauen an der Spitze von Technologiekonzernen, hat in ihrem Buch »Wir können Zukunft« ihre Erfahrungen und Einsichten geteilt. Wir sprachen im "eff"-Magazin mit ihr über ihre Karriere, den Mut zur Veränderung und die Bedeutung von Vielfalt. »Wenn jeder mit anpackt, können wir eine gute Zukunft haben«, sagt die Technologieexpertin, die 2022 ihren Job als Top-Managerin kündigte, um sich gemeinsam mit ihrem Mann um die Eltern und Schwiegereltern zu kümmern.
Wie führen wir in Zeiten des Wandels? Warum ist Vielfalt mehr als nur ein Schlagwort? Und was bedeutet es, Verantwortung nicht nur im Job, sondern auch im Leben zu übernehmen? Die ehemalige Managerin Vera Schneevoigt beantwortet diese Fragen im Interview mit dem Frauen- und Lifestylemagazin "eff".

Wie führen wir in Zeiten des Wandels? Warum ist Vielfalt mehr als nur ein Schlagwort? Und was bedeutet es, Verantwortung nicht nur im Job, sondern auch im Leben zu übernehmen? Die ehemalige Managerin Vera Schneevoigt beantwortet diese Fragen im Interview mit dem Frauen- und Lifestylemagazin "eff".

Bild: Ulrike Frömel

“Eine gute Zukunft erfordert Mut und Menschlichkeit«, sagt Vera Schneevoigt, die lange Jahre an der Spitze weltweit führender Technologieunternehmen stand, dann aber vor drei Jahren ihrem Leben eine radikale Wende gegeben hat. Sie kündigte ihren Job, zog zurück in die Eifel, um sich gemeinsam mit ihrem Mann Thomas um die Eltern und Schwiegereltern zu kümmen. Ein Gespräch mit Vera Schneevoigt über Führungskultur, Gleichberechtigung und Verantwortung.

 

Frau Schneevoigt, alle Zeichen stehen auf wirtschaftlichen Abschwung, Deutschland scheint abgehängt. Wie kommen Sie in Ihrem Buch darauf, dass wir dennoch eine gute Zukunft haben?

Ich bin überzeugt, dass wir eine gute Zukunft haben können, wenn wir bereit sind, aus Krisen zu lernen und uns konsequent weiterzuentwickeln. Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen – sei es die Transformation in der Wirtschaft, der Klimawandel oder die Digitalisierung – eröffnen auch immense Chancen. Entscheidend ist, dass wir uns nicht nur auf das Bewahren des Status quo konzentrieren, sondern aktiv gestalten. Für mich bedeutet das, Mut zu zeigen, Dinge neu zu denken und dabei die Menschen mitzunehmen.

Unsere Gesellschaft ist in der Lage, viel zu leisten, wenn wir zusammenarbeiten und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Mein Buch ist zukunftsorientiert, nicht rückwärtsgewandt. Wenn wir aber weiterhin immer nur empört sind, immer jammern und resignieren, verpassen wir viel, weil unsere Energie im Negativen gebunden ist. Wir als Gesellschaft entscheiden, ob wir unser Potenzial nutzen oder nicht. Mein Buch ist kein Ratgeber, sondern ein Impulsgeber.

 

Sie blicken bewundernd auf Eltern und Großeltern zurück, die harte Zeiten überstanden und an eine bessere Zukunft geglaubt haben. Für den Erfolg war der familiäre Zusammenhalt damals oft entscheidend. Was bedeutet das für heute?

Das stimmt. Ich bewundere diese Generation, weil sie an die Zukunft geglaubt hat und nicht im Jammern versunken ist. Früher waren Großfamilien ein zentraler Rückhalt, was in unserer heutigen Gesellschaft oft nicht mehr selbstverständlich ist. Aber ich glaube, wir können diesen Zusammenhalt anders gestalten, indem wir Netzwerke aufbauen – sei es im Freundeskreis, in Nachbarschaften oder auch in der Arbeitswelt. Gerade in einer individualisierten Gesellschaft braucht es bewusste Entscheidungen, füreinander da zu sein. Das ist auch eine Frage von Fürsorge: Wie sehr sind wir bereit, Verantwortung für andere zu übernehmen? In einer Zukunft, die geprägt ist von Wandel und Unsicherheit, wird dieser Zusammenhalt essenziell sein.

 

Sie haben zwei geflüchtete syrische Jugendliche als Pflegemutter aufgenommen und die Initiative #FlutMut gegründet. Was treibt Sie zu diesem Engagement an?

Ich glaube fest daran, dass wir alle eine Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft haben. Menschen in Not zu helfen und Gemeinschaften zu unterstützen, liegt mir am Herzen. Diese Erfahrungen haben mein Leben bereichert und mir gezeigt, wie viel wir gemeinsam erreichen können, wenn wir zusammenhalten.

Natürlich beschäftige ich mich zunehmend auch mit meinem eigenen Älterwerden und dem Sinn des Lebens. Er kann sich unmöglich in der Egozentrierung verorten.

 

In Ihrem Buch sprechen Sie über Führung und Führungskultur. Als Frau haben Sie Erfahrungen in einer von Männern dominierten Managerebene gemacht. Führen Frauen anders?

Ich denke, dass Führungspersönlichkeiten immer individuell agieren, unabhängig vom Geschlecht. Aber es gibt Tendenzen. Frauen bringen häufig eine besondere Sensibilität für zwischenmenschliche Dynamiken mit und achten stärker auf integrative Prozesse. Für mich war immer wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Menschen wertgeschätzt fühlen. Ich habe nicht bewusst »anders« geführt, sondern so, wie ich es für richtig hielt – klar in der Kommunikation, verbindlich in der Verantwortung und immer auf Augenhöhe mit meinem Team. Und ja, in männlich dominierten Strukturen musste ich manchmal bewusster für meine Ansichten kämpfen. Aber ich habe gelernt, dass Authentizität und Kompetenz oft mehr zählen als Geschlechterklischees.

Momentan überlagern sich viele Krisen. Die meisten Führungskräfte zwischen 50 und 65 haben das nicht erlebt. Sie waren eingefroren im Erfolg und haben am patriarchalischen Führungsprinzip festgehalten. Aufgrund dieses Erfolgs hat die Kommunikation gefehlt.

Deutschland war Weltmeister im analogen Zeitalter. Das hat sich mit der Digitalisierung grundlegend geändert. Politik und Wirtschaft aber haben die Verantwortung, sich weiter zu entwickeln, nicht im erforderlichen Maß getragen. Dass die Wirtschaft so ist, wie sie ist, ist die Konsequenz ihres eigenen Handelns.

Unser Wirtschaftssystem hat sich leider ins Negative entwickelt. Feudales hat eine unglaubliche Anziehungskraft. Das sieht man in der Oligarchie der Tech-Milliardäre – für mich menschenverachtende Typen mit viel Macht und wenig Qualifikation.

Ich habe nach meinem Ausstieg aus dem Führungsmanagement ein Jahr lang nur mit Start-up-Unternehmen in flachen Hierarchien und mit moderner Technologie gearbeitet. Da spürt man einen anderen Antrieb.

 

In Ihrem Buch betonen Sie die Bedeutung von Vielfalt und einer menschenzentrierten Führung. Warum sind diese Aspekte für Sie so wichtig?

Vielfalt bereichert Unternehmen und Gesellschaften. Unterschiedliche Perspektiven führen zu innovativeren Lösungen. Eine menschenzentrierte Führung stellt sicher, dass Individuen im Mittelpunkt stehen, was zu höherer Zufriedenheit und Produktivität führt. Es ist essenziell, dass Führungskräfte Empathie zeigen und die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen.

 

Wie weit sind wir heute noch von der Gleichberechtigung entfernt, wenn Frauen nach wie vor den größten Teil der Care-Arbeit übernehmen und dadurch sozial schlechter abgesichert sind?

Wir sind leider noch weit entfernt. Die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit ist ein strukturelles Problem, das Frauen benachteiligt – finanziell, beruflich und gesellschaftlich.

Es ist ein System, das sich nicht von allein ändert. Hier sind Politik, Wirtschaft und auch wir als Einzelpersonen gefragt. Es muss möglich sein, dass Care-Arbeit und berufliche Verantwortung nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Eine gerechtere Verteilung von Aufgaben und mehr Anerkennung für unbezahlte Arbeit wären ein wichtiger Schritt. Aber das erfordert auch ein Umdenken: Männer müssen stärker in die Verantwortung gehen, und Frauen müssen den Mut haben, sich Raum zu nehmen.

 

Mit Ihrer Entscheidung, Ihren Job als Topmanagerin zu kündigen, um sich gemeinsam mit Ihrem Mann um Ihre Eltern und Schwiegereltern zu kümmern, haben Sie ein Zeichen gesetzt. Welchen gesellschaftlichen Auftrag verbinden Sie damit?

Für mich war diese Entscheidung nicht nur eine persönliche, sondern auch eine gesellschaftliche Botschaft. Es geht darum zu zeigen, dass wir Verantwortung nicht delegieren können – weder an den Staat noch an Dritte. Wir alle tragen eine Verantwortung füreinander, und das schließt unsere Familien und ältere Generationen mit ein.

Mein Mann und ich haben bewusst entschieden, diese Aufgabe gemeinsam zu übernehmen, weil wir glauben, dass Fürsorge und Beruf keine Gegensätze sein müssen.

Ich hoffe, dass unsere Geschichte dazu ermutigt, neue Modelle des Miteinanders zu denken, die Menschlichkeit in den Vordergrund stellen. Denn letztlich geht es um die Frage, wie wir als Gesellschaft leben und arbeiten wollen – und welche Werte uns dabei leiten.

 

Was möchten Sie unseren Leserinnen mit auf den Weg geben, die vielleicht selbst vor großen beruflichen oder persönlichen Veränderungen stehen?

Haben Sie den Mut, Ihren eigenen Weg zu gehen und Entscheidungen zu treffen, die Ihren Werten entsprechen. Veränderungen sind oft herausfordernd, aber sie bieten auch immense Chancen für persönliches Wachstum. Bleiben Sie neugierig, offen und bereit, lebenslang zu lernen. Und vor allem: Glauben Sie an Ihre Fähigkeit, die Zukunft positiv zu gestalten.

Das Gespräch führte Edith Billigmann.

=> Das Interview ist erstmals erschienen im Frauen- und Lifestyle-Magazin "eff", Ausgabe Frühjahr/Sommer 2025: https://wi-paper.de/show/03141b35e644/epaper

 


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