Mainaaht

Wenn eine Nacht zwischen Ville und Venn Ehre und Furcht genießt, dann die zwischen dem 30. April und dem 1. Mai. Zwischen Abendrot und Morgendämmerung geschehen dann mehr Dinge, als ein Mensch erzählen kann.

Vielerorts herrscht das "Faustrecht des Wilden Westens", Gesetze scheinen außer Kraft. Es sei denn, die eigenen… Das fängt mit dem "Holen" der Maien an, die der Jüngling "em Bösch höllt", mit Papierbändern ("Fändeln") behängt und am Hausgiebel seiner Angebeteten befestigt.

Die meiste Mühe verwenden die Junggesellen auf das Fällen und Verbringen einer ausgewachsenen Birke oder Fichte aus dem Staatsforst auf den Dorfplatz, wo der ebenfalls mit bunten Bändern behangene "Dörpsmai" mit Leitern, Frontladern und Muskelkraft aufgerichtet wird.

Maibäume werden - wie vor Weihnachten die "Christbäume" - nicht "gekauft", sondern "geholt", wohlgemerkt nicht "geklaut". Denn Maibaum- und Christbaumholen gelten als heiliges Gewohnheitsrecht, nicht als Straftat. Wie auch das Wildern von Kaninchen mit Drahtschlingen ("Ströppe") früher als ökonomische und kulinarische Notwendigkeit galt.

Allein der Begriff "Wilddiebstahl" genießt keine Akzeptanz am Kermeter. Die Alten fragten sich mit philosophischem Scharfsinn, wie man etwas "Wildes", das keinem als sich selbst gehört, "stehlen" kann. Was man aber nicht nimmt, das "holt" man.

Jungs auf Freiersfüßen mit Augenstern im eigenen Dorf haben es gut: Sie können den Maibaum einfach an deren Wohnhausdach installieren, meist mit Hilfe von Kameraden. Teuer wird die Sache für ortsfremde Jungmänner. Ich kenne die aktuellen "Tarife" nicht, aber bereits in meiner Jugend kostete das eine Kiste Bier und eine Flasche Schnaps.

Zu entrichten an die Dorfgesellen am Lagerfeuer, das sie in der "Nacht aller Nächte" am Dorfplatz umlagern. Wer sich die Taxe sparen wollte, fand seinen geschmückten Baum am Maimorgen nicht mehr an Ort und Stelle, sondern verkohlt im Feuer…