Zehn Monate im Jahr ist Tommy Weinz (48) in Sachen Backwerk international auf Achse. Er stöbert in den entlegensten Winkeln der Erde traditionelle Rezepte auf, besucht Bäckereien, Konditoreien und Getreidemühlen. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Katrin Benz (28) ist der Bad Sobernheimer im Wohnmobil unterwegs, immer auf der Suche nach natürlichen, schmackhaften und landesspezifischen Backwaren.
Für Tommy Weinz bedeutet das Luxus – das tun zu können, was ihm Spaß macht. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, in denen der gelernte Bäcker und Konditor zu viel gearbeitet hat. Nach seiner Ausbildung zum Koch und Küchenmeister bei der Bundeswehr war er Fooddesigner, unter anderem für Fissler, AMC und Tupperware widmete sich er der Nahrungsmittelfotografie, schrieb vier Kochbücher. Danach wechselte er in die Motorradbranche und war dort sehr aktiv, 2014 dann Marketingchef bei einem Holzofenhersteller in Oberschwaben. Dann diagnostizierten die Ärzte: Burnout. Weinz hatte nun Zeit zu überlegen: „Was mache ich jetzt? Weiter in diesem Wahnsinnsrad, 16 Stunden und mehr am Tag malochen? Was kann ich, was ist meine Leidenschaft?“ Die Antwort hat er schnell gefunden: Backen! Die Gedanken kreisten.
Per Wohnmobil zu den Backstuben Europas
Wie machen die eigentlich Knäckebrot in Schweden? Was passiert in England und Portugal? „Mir geht das Herz auf, wenn ich die verschiedenen Techniken dort sehe. Man kann beispielsweise Croissants in zwölf Variationen herstellen“, weiß Weinz. Von den jeweiligen Bäckereien aus entwickelt er direkt die Rezepte. „Das ist ein ganz anderes Backen, ich formatiere die Rezepte um, backe Brote manchmal acht Mal im Haushaltsofen, bis es klappt“. Jedes Land hat ein anderes Mehl. Dadurch entstehen neue, aber traditionelle und bekannte Rezepte. Beim Baguette zum Beispiel gibt es völlig unterschiedliche Vorteige, Knetzeiten oder Fermentierungen. „Ein Baguette, was Sie in Deutschland kaufen, hat aber auch gar nichts mit einem richtigen französischen zu tun“, weiß Weinz.
„Im Winter im Süden, im Sommer im Norden“
Seine Mission startete er im April 2018, auf einer Tour, die ihn von England, Wales und Schottland weiter nach Nordfrankreich, Nordspanien, Portugal, Südspanien, die Benelux-Länder und wiederum nach Dänemark, Norwegen und Schweden führte. 15, 16 Monate war er damals unterwegs. „Im Winter im Süden, im Sommer im Norden“. Seine Recherchen nach speziellen Traditionsbäckereien beginnen meist im Internet. Doch vor Ort will nicht jeder mit ihm reden. Er fährt zu Getreidemühlen, sucht Kontakte, bekommt Empfehlungen, vernetzt sich. Im Gepäck, als Referenz, hat er stets seine Zeitschriften. Sein Erstlingswerk ist „Tommy Backwelt“, ein Hochglanzmagazin mit dem Untertitel „Traditionelle und internationale Rezepte mit Geling-Garantie“. Feiertagsrezepte von Oma, der perfekte Tortenboden oder Brötchen backen für jedermann – kinderleicht.
Besser backen mit Tommy Weinz
Die zweite, erfolgreichere Zeitschrift wird in Serie produziert, erscheint quartalsweise am Kiosk: „Besser backen mit Tommy Weinz“. Hier stellt der passionierte Bäcker Rezepte für Partygebäck, Burger Buns, ein Tartlette-Special oder ein Zopf-Tutorial vor („Keine Angst vor Hefeteig“). Die Hauptthemen sind Brot, Plätzchen und Diätbacken. Hierbei könne nur ein Zehntel der kreierten Rezepte veröffentlicht werden. Diverse Rezepte erscheinen aus diesem Grund bald zweisprachig, in Deutsch und Englisch, im Internet. Die Printausgaben sind schon länger – nicht bloß beim Fachpublikum.
Von seinen ausgedehnten Reisen ist er stets aufs Neue fasziniert. Beispielsweise, als er in Portugal das Nationalgebäck Pastel de Nata für sich entdeckte. Oder wenn er in seiner Freizeit Fotos schießt, in England vom Ufer aus Delfine bei der Jagd beobachtet. „In Norwegen bin ich fast jeden Tag geflasht, von der Natur. Nach jeder Kurve kommt etwas Neues, steile Klippen, Schweinswale, 15 Kilometer lange Bergtunnel in gleißend-blaues Licht getüncht, es ist eine andere Welt“. Oder auf den Lofoten. Hier entdeckte er den Ort Å. Ja, richtig gelesen, der heißt nur Å, was so viel wie Aqua, Bach bedeutet. Hier spürte er eine Museumsbäckerei auf, mit einem alten Holzofen, kreierte Zimtschnecken. „Das war ein Riesenerlebnis. Das ist für mich der Lohn. Früher bin ich immer dem Geld hinterhergelaufen, das jetzt ist was fürs Leben“.
Lardy Cake für den deutschen Gaumen
In einem verwunschenen Nest in England traf er Bäckerssohn Steve Oxfort. Den zog es jedoch nach London, er legte dort als DJ auf, statt in Vaters Fußstapfen zu treten. Doch er kam zurück, irgendwann, übernahm die väterliche Dorfbäckerei. Weinz entdeckte bei seinem Kollegen einen Kuchen aus Schweineschmalz und Rohrzucker. „Ein Deutscher würde so etwas nicht mögen“, so der gebürtige Kirner. So wurde der Lardy Cake für den Deutschen Gaumen umformatiert.
Einmal ließ sich Tommy Weinz auf einem spanischen Campingplatz nieder. Kalt war es im November, Dezember. Es gab keine Brötchen. Die Camper aus Deutschland und der Schweiz wollten gerne Kuchen und Kaffee. So bot der findige Bäcker dem Campingplatzbesitzer an, er könne seinem Koch beibringen, wie man Kuchen und Brote herstellt. „Der Koch fing an zu weinen, als der den Geschmack von gefülltem Streuselkuchen testete“. Die Leckereien gibt es noch heute dort. In Norwegen kreierte er ein „Applecider-Bread“, ein Brot mit einer Apfel-Zwiebel-Weincreme gefüllt.
Bei Sofie, einem Café in Schweden, entwickelte Weinz ein Sauerteigbrot. Das wird dort unter dem Namen „Tommy“ verkauft. Das Tüfteln ist seine Leidenschaft. „Wenn ich ein traditionelles Backwerk vor mir sehe, frage ich mich, wie kann ich es besser machen. Kann man auch andere Früchte verwenden? Ich experimentiere ständig“. Eines seiner Ziele dabei: einfache Formeln erstellen, die das Backen für alle einfach machen.
Anvisiert: Die eigene Brotmanufaktur
„Jede Begegnung ist etwas Besonderes und bleibt in den Köpfen. Zu allen Leuten habe ich weiterhin einen Draht“. Seine Freundin Katrin ist auch Bäckerin. Sie fotografiert meist auf den Reisen und probiert mit ihrem Liebsten die Rezepte aus. Im Wohnmobil seien sie preiswert und umweltfreundlich unterwegs. Dennoch, trotz des straffen Reiseprogramms sagt Weinz: „Das Nahetal ist meine Heimat“. So strebt er in Zukunft hier die Etablierung einer Backschule und Brotmanufaktur an, sucht dazu einen Bauernhof oder eine alte Mühle. Außerdem will er ein Buch schreiben über die Bäckereien in Europa. Als kreativen Künstler beschreibt sich Tommy Weinz selbst, mit den Hobbys Fotografie und Food. Er hält sich nun meistens an seine zirka 35-Stunden-Woche. „Das Ganze ist ein Ball, der rollt. Wenn ich mal nichts zu tun habe, überlege ich, was ich tun kann“.