Gysi kommt nach Trier: "Der Umgang mit Marx ist eine Kulturfrage"
Kurze Gespräche vor der Imbissbude – das ist das Konzept des Buchs "Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi". In diesem spricht der Politiker der Linkspartei, Anwalt und Moderator, mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt offen über politische Themen und sein Leben. Ursprünglich wollten beide am 10. Dezember zur Lesung nach Tier in die Europahalle kommen. Der Termin musste aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl auf den 21. März verschoben werden. Der WochenSpiegel hat mit Gysi über das Buch, Trier, Karl-Marx und Wein gesprochen.
Interview: Nikolas Leube
WochenSpiegel: In Ihrem Gesprächsband "Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi" mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt beantworten Sie viele Fragen in kurzen Gesprächen. Gab es eine, die Ihnen sprichwörtlich den Bissen im Hals stecken ließ?
Gysi: Wenn es eine Frage gab, die ich nicht beantworten wollte, habe ich ihm das gesagt. Aber solche hat er kaum gestellt.
WochenSpiegel: Sie sagen im Buch "rhetorisch begabt ist nur jemand, der auch gut zuhören kann". Was macht einen guten Politiker aus, das Zuhören oder das Reden?
Gysi: Beides ist wichtig. Ein Politiker, der nicht reden kann, ist vor allem im Bundestag fehl am Platz. Ein Politiker, der nicht zuhören kann, verliert Wissen und erhält keine Eindrücke. Das führt dazu, dass er glaubt, sich nicht korrigieren zu müssen.
WochenSpiegel: Was können Sie besser, reden oder zuhören?
Gysi: Ich kann natürlich besser reden. Aber für meine Verhältnisse auch erstaunlich gut zuhören. Als Moderator staunen die Leute oft, wie wenig ich kommentiere, weil ich an anderen Leben und Perspektiven interessiert bin - meine kenne ich ja schon.
WochenSpiegel: Mit Hans-Dieter Schütt sprechen Sie auch über persönliche Themen, wie zum Beispiel ihre Nervosität als Jugendlicher, Frauen zum Tanz aufzufordern. War das eine neue Erfahrung für Sie?
Gysi: Damit habe ich schon in meiner Autobiografie angefangen. Ich bin gerne persönlich, aber nicht privat. Die Leser erfahren zum Beispiel, dass ich zweimal geschieden bin, aber nicht die Gründe dafür. Persönliches teile ich mit, damit man mich besser einordnen kann. Privates bleibt jedoch bei mir.
WochenSpiegel: Auf Ihrer Tour mit dem Buch besuchen Sie Trier. Was verbinden Sie persönlich mit der Stadt?
Gysi: Eine ganze Menge! In Trier ist ja Karl Marx geboren worden und aufgewachsen. Das Geburtshaus gehört leider der SPD. Ich wollte es ihr ja abkaufen, aber das wollten die überhaupt nicht. Außerdem war ich zu seinem 200. Geburtstag in der Stadt als das Denkmal der Chinesen eingeweiht wurde. Eigentlich sollte die Statue ja noch größer werden, aber das hat die Stadt nicht zugelassen. Ich finde, wir sollten selbst in der Lage sein, Karl Marx ein Denkmal zu errichten und uns das nicht von China schenken lassen. Aber schön. Ich habe damals auch eine Vorlesung an der Universität gehalten und leider ohne jede Zuständigkeit ihr den Namen Karl-Marx-Universität verliehen. Ich habe versucht zu erklären, dass, wenn Karl Marx Franzose gewesen wäre, es vier Unis mit seinem Namen gäbe, und das störte auch den konservativsten Präsidenten nicht. Der Witz war, dass die Studenten etwas machten, was sie ganz selten machen: Sie spendeten Beifall und standen auf (lacht). Das hat den Präsidenten der Universität natürlich geärgert. Aber so war es. Das war ein schöner Tag. Aber in Trier gefällt mir auch die Küche, deshalb gehe ich da gerne in ein Restaurant essen. Auch das darf man nicht unterschätzen. Schon gar nicht mit 76 Jahren.
WochenSpiegel: Warum war Ihnen die Namensgebung der Universität Trier so wichtig?
Gysi: Es gab eine Karl-Marx-Universität in der DDR, die wieder umbenannt wurde. Ich finde, dass Karl Marx vom Staatssozialismus missbraucht wurde. Er war in Wirklichkeit ein Befreiungsideologe und kein Unterdrückungsideologe. Vor allen Dingen war er ein großer Theoretiker in wirtschaftlichen, also ökonomischen Fragen. Es tut mir leid, dass wir keine ausreichende Beziehung zu solchen Größen haben. Bei den Linken rebelliere ich immer, dass sie an Bismarck drumherum dribbeln, aber er war auch ein großer Deutscher. An den Konservativen kritisiere ich, dass sie immer nur an Karl Marx herumnörgeln, dabei war er ein guter Sohn unseres Volkes, der ja in London lebte, weil er aus Deutschland emigrieren musste. Schaut man sich das persönliche Leben dieser Größen an, dann wird klar: Die konnten auch genießen.
WochenSpiegel: Der damalige Universitätspräsident Prof. Michael Jäckel argumentierte gegen die Umbenennung mit dem Hinweis, dass Universitäten für Neutralität und Offenheit stehen sollten und bezeichnete die Debatte als "intellektuellen Schaukampf". Ist der Umgang mit Marx Geschmackssache?
Gysi: Nein. Es ist eine Kulturfrage und neben der Kulturfrage eine Frage unserer Einstellung. Ich bringe immer das Beispiel - deswegen habe ich vorhin Bismarck erwähnt - wenn ich in einer Stadt eine linke Mehrheit hätte und würde vorschlagen, eine Straße nach Bismarck zu benennen, würden die glatt nein sagen. Wenn ich eine konservative Mehrheit hätte und würde vorschlagen, eine Straße nach Marx zu benennen, würden die glatt nein sagen. Und genau das verstehe ich nicht, denn das ist in anderen Ländern wirklich anders. Schauen Sie nach Frankreich, Jeanne d'Arc und Napoleon - zwei unterschiedlichere Persönlichkeiten kann man sich kaum vorstellen. Dort wird beiden gedacht. Ich wünsche mir eine solche kulturelle Breite im Denken. Wenn man eine Karl-Marx-Universität hat, heißt das überhaupt nicht, dass man sich ideologisch in irgendeine Richtung bewegt. Es heißt nur, dass man die Universität nach einer großen, auch wissenschaftlichen Persönlichkeit benennt. Man kann sich an einer solchen Universität mit einem Lehrstuhl auch kritisch mit Marx auseinandersetzen, das ist überhaupt nicht mein Problem. Viele Universitäten haben Namen und durch die sind sie nicht einseitig geworden. Insofern finde ich die These des ehemaligen Präsidenten falsch.
WochenSpiegel: Die Universität hat ihren Namen nicht geändert. Werden Sie bei der Lesung des Buches in Trier die Thematik noch einmal aufgreifen?
Gysi: Ja, Sie haben mich wieder daran erinnert. Ich werde schon eine Frage so beantworten, dass ich indirekt darauf zu sprechen komme. Ich werde es auf jeden Fall versuchen und finde, dass es gut wäre, wenn gerade in Trier diese Uni den Namen bekäme.
WochenSpiegel: Sie drücken in den Gesprächen mit Hans-Dieter Schütt Ihre Vorliebe zu Wein aus. Der Autor Jens Baumeister hat ein Buch zu dem Thema "Wie der Wein Karl Marx zum Kommunisten machte" geschrieben. Was macht Wein mit Ihnen?
Gysi: (Lacht). Das Buch kannte ich nicht. Wein verschönert mir den Abend. Wissen Sie, ich arbeite den ganzen Tag hart, habe Gerichtsverhandlungen, muss Reden zu politischen Themen halten und so weiter. Und dann am Abend esse ich und trinke dazu einen Wein, den ich dann einfach genieße. Es gibt ja Leute, die gerne Sekt zum Frühstück trinken, das kann ich gar nicht, dann tauge ich den ganzen Tag zu nichts. Aber abends ein Glas Wein oder auch mal ein Bier, das ist schon etwas Schönes.
WochenSpiegel: Ist Ihnen der Moselwein ein Begriff?
Gysi: Ja, selbstverständlich. Seit der deutschen Einheit konnte ich ja die westdeutschen Weine nach und nach kennenlernen, was mir vorher nicht möglich war. Ich suche immer besonders trockene Weine, die ich dann mit einem kleinen Schluck Wasser als Schorle genieße, damit der Geschmack etwas leichter wird. In manchen Gegenden darf ich allerdings nicht "trocken" sagen - dort muss es "sauer" heißen, weil man den Begriff "trocken" dort dafür nicht kennt.
WochenSpiegel: Sie haben ja auch kürzlich die "Aktion Silberlocke" angekündigt und wollen sich für den Wiedereinzug der Linkspartei in den Bundestag starkmachen. Was haben Sie mit Herrn Bartsch und Ramelow beim Treffen getrunken?
Gysi: Wir haben uns beim Rotwein besprochen und inzwischen vor der Bundespressekonferenz unsere "Mission Silberlocke" gestartet. Bodo Ramelow ist zwar immer noch Ministerpräsident, denn nach der thüringischen Verfassung gibt es keine Frist, wann die Regierung gebildet sein muss. Aber inzwischen haben sich CDU, BSW und SPD dort auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Schauen wir mal, ob Mario Voigt von der CDU im Dezember zum Ministerpräsidenten gewählt wird.