Erinnerungsarbeit soll mehr junge Menschen erreichen
In der Dokumentations- und Begegnungsstätte auf dem Gelände des ehemaligen SS-Sonderlagers in Hinzert findet man keinen rechten Winkel. Schon beim Betreten irritieren die Dreieckskonstruktionen, die Holz mit spiegelnden Glas- und korrodierten Stahlelementen kombinieren. Im hinteren Teil öffnet sich der Raum hin zu einer Glasscheibe, die die gesamte Fläche der Rückwand einnimmt - dahinter Wiesen und Felder. Auf dem unteren Drittel der Glaswand ist ein Druck angebracht. Dunkle Schemen lassen erahnen, wie die Baracken der Häftlinge damals, als die Nationalsozialisten Europa terrorisierten, in der Landschaft standen.
"Vernichtung durch Arbeit" hieß die Devise in dem 1938 erbauten Lager, das die Nazis zunächst als "Erziehungslager" für sogenannte "Arbeitsscheue" errichten ließen. Zwei Jahre später, am 1. Juli 1940, erhielt es den Status eines KZ-Hauptlagers. Heute kann man die Gedenkstätte dank der Arbeit des 1989 gegründeten Fördervereins und der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) besuchen und sich selbst einen Eindruck verschaffen über die Gräueltaten, die dort, im beschaulichen Hochwald, begangen wurden.
Zum Ortstermin an einem regnerischen Frühsommertag Mitte Juni mit Dr. Alexander Quack von der LpB und Georg Mertes vom Förderverein kommen der Trierer Generalvikar Ulrich von Plettenberg und Vertretungen des Pastoralen Raums (PastR) Hermeskeil zusammen. Im Rahmen der Visitation des PastR soll überlegt werden, wie die Bildungs- und Gedenkarbeit insbesondere für junge Leute, z.B. in der Firmvorbereitung oder für Schüler*innengruppen, intensiviert werden kann. Angebote gibt es bereits einige, berichtet Quack. Allein in diesem Jahr waren schon rund 4.000 Besucher*innen dort, davon etwa ein Viertel Jugendliche. Die können, je nach Altersklasse, z.B. anhand von Archiv-Fotos und Luftaufnahmen ermitteln, wo der Fotograf gestanden haben muss, um das Foto zu schießen. Oder sie erschließen sich den Alltag der KZ-Häftlinge mithilfe originaler Gegenstände wie einem rudimentären Rasierappart oder einem Löffel. Im Quellenworkshop können Oberstufenschüler*innen mit Kopien von Originaldokumenten arbeiten.
Dort rekonstruieren sie anhand von Todesbescheinigungen den Lebens- und Leidensweg der KZ-Häftlinge und verschaffen sich einen Überblick über die unterschiedlichen Häftlingsgruppen. Darunter sind etwa die sogenannten "Nacht-und-Nebel-Gefangenen" - Männer, die des Widerstands verdächtigt waren und zur Abschreckung der Bevölkerung interniert wurden.
Dem kollektiven Gedächtnis auf die Sprünge helfen
Schaut man sich die Quellen genau an, wird ersichtlich, wie sehr das kollektive Gedächtnis der Region nach dem Zweiten Weltkrieg gewillt war, die von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verdrängen.
Eine Akte beispielsweise, die im Quellenworkshop auftaucht, gibt Einblick in den Fall des für das Lager zuständigen Arztes Theophil Hackethal, damals SS-Obersturmbannführer und leitender Arzt im Hermeskeiler Krankenhaus. Indem er Todesbescheinigungen fälschte, vertuschte er nachweislich an den Häftlingen begangene Folter und Grausamkeiten. Schwerkranke schickte er in die Zwangsarbeit und protokollierte sogar Massenhinrichtungen.
Nach Kriegsende wurde er zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Von seiner Strafe saß er jedoch nur knapp die Hälfte ab. Sein Begnadigungsgesuch unterstützten damals neben dem Bürgermeister von Hermeskeil auch der rheinlandpfälzische Ministerpräsident und sogar der Bischof von Trier, Bernhard Stein. Nach seiner Entlassung kehrte Hackethal nach Hermeskeil zurück, wo er bis zu seinem Tod 1959 als Arzt praktizierte.
Mit ihrer Dokumentationsarbeit und den zielgruppenspezifischen Bildungsangeboten helfen Quack und Mertes dem kollektiven Gedächtnis auf die Sprünge. "Wir zeigen auf, wie die Konsequenzen einer menschenverachtenden Ideologie aussehen können", sagt Mertes. Quack ergänzt: "Wir beobachten leider, dass das Basiswissen über den Nationalsozialismus bei jungen Menschen geringer ist als noch vor einigen Jahren." Daher würde er sich wünschen, dass die Gedenkstätte inklusive der Bildungsangebote noch mehr Zulauf hätte. Schulklassen können übrigens Fahrtkostenzuschüsse bei der LpB beantragen.
"Dass wir so nah an Trier eine solche Gedenkstätte haben, ist auch eine Verpflichtung für uns", betont Generalvikar von Plettenberg. Es sei ihm ein Anliegen, dass noch mehr junge Menschen mit der Erinnerungsarbeit erreicht würden, "etwa in der Firmvorbereitung, über das Handlungsfeld Politische Bildung in unserer Jugendabteilung und natürlich mit unseren Schulen." Dass altersgerechte Bildungsarbeit insbesondere bei Jugendlichen verfängt, zeigt ein Stein in der Kapelle auf dem Friedhof, auf dem jene begraben sind, deren Leichen in den Massengräbern hinter dem Lager im Wald gefunden wurden. Auf diesen Stein haben die Firmlinge der Pfarreiengemeinschaft Salmtal im vergangenen Jahr geschrieben: "Wir sind nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon."
Erinnerungsarbeit fest in Firmvorbereitung integriert
Im kommenden Juli wird es unter der Leitung von Pastoralreferent Thomas Kupczik das Angebot "Firmung kompakt" geben. Im Fokus der Firmvorbereitung steht die Frage, welche Verantwortung Christ*innen für eine gerechte und friedliche Welt tragen. Das dreitägige Programm beinhaltet unter anderem einen Gedenkstättenbesuch im ehemaligen SS-Sonderlager/KZ Hinzert. Weitere Informationen gibt es auf https://www.gedenkstaette-hinzert-rlp.de/. (ih)