Josef Desiré, "unschuldig gemordet"
Vor hundert Jahren wurde "Desires Jüppche", wie er genannt wurde, an der Bahnlinie im Rosental unweit der nach der Flut 2021 neugebauten Eisenbahnbrücke von französischen Besatzungssoldaten erschossen. Das Kreuz, das an den Mord erinnert, war einige Jahre verschwunden, wurde aber wiederentdeckt und wieder aufgestellt.
Rheinland und Ruhrgebiet waren im Unruhejahr 1923 besetzt, weil das Deutsche Reich mit Reparationszahlungen für den Ersten Weltkrieg in Verzug war. Die Atmosphäre war aufgeheizt, die Inflation vernichtete den Wert des Geldes, in Bayern wurde der Hitlerputsch niedergeschlagen, rheinische Sonderbündler versuchten auch in der Nordeifel, mit Waffengewalt einen separaten neutralen Pufferstaat zwischen Deutschland und Frankreich zu errichten.
Frankreich sicherte sich wichtige Wirtschaftsgüter im Ruhrgebiet. Kohletransporte rollten Tag und Nacht über die damals noch durchgängig zweigleisige Eifeleisenbahnstrecke nach Frankreich - und leere Waggons zurück Richtung Rhein und Ruhr. Die deutschen Eisenbahner legten die Arbeit nieder. Sie befanden sich im passiven Widerstand und wurden ausgewiesen.
Anschläge auf Kohlentransporte
Es kam zu Anschlägen auf die Reparationszüge. Deshalb kontrollierten französische Truppen neuralgische Punkte in Rheinland und Ruhrgebiet und die relevanten Transportwege, darunter die Bahnstrecke Köln-Trier. Für die Bevölkerung herrschte Ausgangssperre ab 20 Uhr. Wer doch angetroffen wurde, musste mit Verhaftung rechnen…
Wie der Gedenkstein an der neuen Eisenbahnbrücke im Rosental verrät, wurde an dieser Stelle am 28. August 1923 der Förstersohn Josef Desiré (24) unweit seines Elternhauses von einer aus zwei marokkanisch-stämmigen Besatzungssoldaten bestehenden Streife erschossen. "Desirés Jüppche", wie er nach dem früheren in Zingsheim lebenden Münstereifeler Bauamtsleiter Walter Hamacher genannt wurde, soll sich häufiger noch nach Einbruch der Dunkelheit beim Onkel in Nettersheim aufgehalten haben.
Wohl auch, um mit Freunden den einen oder anderen Schabernack auszuhecken, berichtete Jakob Friederich Schruff aus Nettersheim 1983 dem Verfasser der WochenSpiegel-Kolumne "Manni kallt Platt". Unter dieser Rubrik wurde Anfang März 2023 das Verschwinden des Desiré-Gedenksteins beklagt. Auf diesen Artikel unter dem Titel "Welde Zigg" (https://www.wochenspiegellive.de/themen/thema/manni-kallt-platt/artikel/welde-zigg) hin meldete sich der 88-jährige Edwin Heuer aus Urft, ein entfernter Verwandter des erschossenen Josef Desiré, und führte Lang zum wiedergefundenen und inzwischen restaurierten und wiederaufgestellten Gedenkkreuz.
Dass es dort wieder steht, ist dem aus Keldenich stammenden und in Bergbuir lebenden Erich Hermes zu verdanken. Er hatte das möglicherweise bei Baumfällarbeiten vom Sockel gefallene und mit Humus und Sägespänen bedeckte Kreuz entdeckt und ausgegraben.
Sein Schriftwechsel mit der Gemeindeverwaltung Nettersheim berichtet von der Schwierigkeit, offene Ohren und zupackende Hände für die Wiederaufstellung des Gedenksteins zu finden. Aber am Ende siegte seine Hartnäckigkeit. Noch vor der Flut 2021 war das Kreuz wiedererrichtet und aufgestellt worden. "Die Überschwemmungen überstand es erstaunlich gut", so Hermes.
Ausgepeitscht und fortgeschafft
Josef Desirés Leichnam wurde von den Tätern fortgeschafft, der Vorfall nicht gemeldet, und erst Tage nach der Tat von einem französischen Offizier in einem leerstehenden Gebäude an der Bahnlinie gefunden. Die zur fraglichen Zeit auf Patrouille befindlichen Soldaten sind nach Jakob Friederich Schruffs 1983 dem Autor mitgeteilten Erinnerungen ausgepeitscht worden und "fortgekommen", eine Formulierung, die auf schwere Repressalien schließen lässt.
In den verblassten Sandstein ist eingemeißelt: "Am Abend des 28. August 1923, als Rheinland schmachtete unter Frankreichs harter Willkür, traf hier den 24jährigen Josef Desiré in abendlicher Stunde das tödliche Geschoß eines Marokkaners. Wanderer stehe still und bete für den unschuldig Gemordeten."
Der damalige Gemeindevorsteher Herbert Kley hat niedergeschrieben: "Die Gemeinde rechnet Josef Desiré zu den Söhnen, die für die Heimat und das Vaterland ihr Leben ließen. Desiré hatte öfters seine beiden Schwestern vor den Zudringlichkeiten der Marokkaner beschützt und sich so den Hass derselben zugezogen." Zeitgenossen in Nettersheim waren überzeugt, dass die beiden Soldaten dem heimkehrenden Desiré aufgelauert haben…
Erich Hermes hingegen schließt im Herbst 2019 in einem Brief an Bürgermeister Wilfried Pracht auch die Möglichkeit eines geplanten Anschlags zumindest nicht aus. In dem Brief heißt es unter anderem: "Die Desirés wohnten in dem kleinen Haus an der Rosenthaler Mühle, das heute als Grillhütte dient." Aber er schreibt schließlich: "Der Satz auf dem Kreuz "für den unschuldig Gemordeten" lässt eher keine Sabotageabsicht vermuten." (pp/Agentur ProfiPress)