

„Ich kann es selbst noch nicht glauben. So richtig aufgegangen ist es mir erst, als die ersten Gäste kamen“, sagte Edith Stief aus Mechernich anlässlich ihres runden Geburtstages. Der Tisch neben ihr gedeckt, die ersten Gäste schon wieder weg, die nächsten im Anmarsch. Darunter auch der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick. Denn es war ein ganz besonderes Datum: exakt einhundert Jahre zuvor, am 10. April 1925, erblickte Stief in der Hansestadt Hamburg zum ersten Mal das Licht der Welt.
Aufgewachsen in einem sozialdemokratischen Elternhaus wurde sie bereits mit acht Jahren Zeugin der Machtergreifung Adolf Hitlers und der NSDAP, auf die, als sie gerade einmal 13 war, die im Jahre 1939 die Schrecken des Zweiten Weltkriegs folgten. Noch genau kann sie sich an diese Zeit erinnern. Den Bombenkrieg, das ungewisse Warten im von Explosionen erschütterten Bunker, oder KZ-Häftlinge, die brutal durch die Straßen getrieben wurden und bei Fliegeralarm keinen Schutz suchen durften.
Nach all dem hielt das Leben aber auch schöne Dinge für sie bereit. Beispielsweise ihren Ehemann Heinz, ehemaliger Marine-Soldat, und ihren Sohn Rainer (81), mit denen sie zunächst nach Aalen zog. Nach dem Tod ihres Mannes ging es für sie schließlich nach Blankenheim, wo sie vor fast 20 Jahren mit ihrem Sohn ein Haus bezog. Seitdem unterstützen sie sich gegenseitig im stolzen Alter - und zogen vor kurzem in zwei barrierefreie Wohnungen in der Mechernicher Innenstadt.
In ihrem Leben hat sie viel erlebt, musste sich oft durchsetzen, schaffte sich so aber auch viel Anerkennung. Schon während des Zweiten Weltkriegs machte sie eine Ausbildung zur Bürokauffrau, arbeitete später beispielsweise als Verkäuferin in einem Blumengeschäft oder als Hausmeisterin auf einem Campingplatz an der Lippe. Für sie war das „eine besonders schöne Zeit“. Ihr Sohn Rainer lebte indes auch ein bewegtes Leben, teils sogar in Südafrika oder Südamerika: „Da könnte ich ein Buch drüber schreiben!“ Für seine Mutter war vor seiner Abreise in den 60er-Jahren allerdings nur eine Sache wichtig: „Du kommst doch wieder, Junge…“
Froh sei Edith Stief heute darüber, dass sie sich noch klar an ihre schöne Kindheit zurückerinnern kann. Darauf folgte leider die dunkle Herrschaft des NS-Regimes. Schon mit 16 Jahren musste sie bei Bombenangriffen im Hochbunker ausharren. Ganz genau darauf achten, was sie sagt, um nicht verhaftet zu werden. Besonders nichts über ihren Onkel, der auf dem Dachboden heimlich den englischen Radiosender BBC hörte – damals noch „Volksverrat“. Noch genau erinnert sie sich an die Worte ihre Mutter nach Gesprächen zuhause: „Aber nichts draußen sagen!“ Lebensrealität in einem faschistischen Regime.
Als sie im Jahr 1944 inmitten der Kriegswirren an einer gefährlichen Lungenentzündung litt und fast von einer abgeworfenen Bombe samt Sohn Rainer im Kinderwagen in ihrem Hausflur verschüttet wurde, hätten andere schon mit ihrem Leben abgeschlossen. Doch nicht Edith Stief. Auch als der Hochbunker in ihrer Nachbarschaft von Explosionen erschüttert wurde, hielt sie durch, trotz wackelnder Wände. Auch als sonst „nichts mehr übrig“ war.
Diese Schrecken lassen sie auch über 80 Jahre später nicht los. Darum ist für sie ganz klar: „Die Würde des Menschen muss bewahrt werden. Das heißt auch, wachsam zu bleiben. Beispielsweise in Hinblick auf Trump und die Entwicklungen hin zur Oligarchie in den USA.“ Ihr Sohn Rainer stimmte zu: „Wir verfolgen das tägliche Weltgeschehen sehr genau und schauen zusammen Nachrichten. Aber auch Spiele von St. Pauli, Olympiaden und mehr sehen wir uns gerne an. Kurzum: da ist noch Power drin!“
Und das nach einem bewegten Jahrhundertleben. Für junge Leute hatte Edith Stief noch entsprechende Tipps auf Lager: „Bleibt gesund, achtet auf Eure Familie und geht mit offenen Augen durch die Welt. Kurzum: Konzentriert Euch auf das, was im Leben wirklich wichtig ist!“