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»Der Arbeitsmarkt ist unter Druck geraten«

Der Arbeitsmarkt im Kreis Euskirchen hat die Corona-Krise 2020 stark zu spüren bekommen. Das belegt der Jahresbericht der Agentur für Arbeit. Wichtigstes Instrument im Kampf gegen noch höhere Arbeitslosenzahlen war die Kurzarbeit.
Rainer Imkamp, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl,  stellte den Arbeitsmarktbericht 2020 für den Kreis Euskirchen vor. Foto: Scholl

Rainer Imkamp, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl, stellte den Arbeitsmarktbericht 2020 für den Kreis Euskirchen vor. Foto: Scholl

»Als wir vor ziemlich genau einem Jahr hier zusammen gesessen haben, hätte niemand damit gerechnet, dass uns ein solches Jahr bevorsteht«, sagte Rainer Imkamp, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl,  vergangene Woche bei der Vorstellung der Arbeitsmarktzahlen für den Kreis Euskirchen in der Geschäftsstelle der Arbeitsagentur in Euskirchen.
»Der Arbeitsmarkt im Kreis Euskirchen ist 2020 wegen der Corona-Krise stark unter Druck geraten. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen zum Jahresende wieder leicht sanken, waren die Folgen des ersten Lockdows am Jahresende noch deutlich sichtbar. Mit dem September ist die Arbeitslosenquote aber in einen leichten Sinkflug gegangen. Wie es weitergeht, ist aufgrund des zweiten Lockdowns nun schwer einzuschätzen«, bilanzierte Imkamp.
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben nach Angaben der Arbeitsagentur die Arbeitslosigkeit im Frühjahr mit dem Lockdown sprunghaft ansteigen lassen. »Die sonst übliche Frühjahrsbelebung ist gänzlich ausgeblieben. Wir haben für den Moment in etwa das Niveau des Jahres 2016 erreicht«, so Imkamp. Die Arbeitslosenquote hatte im August 2020 mit 6,3 Prozent den höchsten Stand.

Agentur musste sich neu aufstellen

Im Jahr 2020 waren im Kreis Eus­kirchen durchschnittlich 6.124 Menschen zeitgleich arbeitslos gemeldet. Das waren 838 oder 15,8 Prozent mehr als im Jahresdurchschnitt 2019. Die Arbeitslosenquote im Jahresschnitt 2020 betrug 5,7 Prozent, der höchste Wert seit 2015 (hier durchschnittlich 5,9 Prozent). Die Arbeitslosenquote stieg damit im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozentpunkte.
Während des ersten Lockdowns im März des vergangenen Jahres habe sich die Arbeitsagentur in puncto telefonische Erreichbarkeit ganz neu aufstellen müssen.  »Wir haben versucht mit der Welle von Anfragen fertig zu werden«, erklärte Imkamp. Auch die Anzeigen und die Gewährung von Kurzarbeitergeld habe die Arbeitsagentur vor personelle Herausforderungen gestellt. Nach einem Aufruf hätten sich jedoch zahlreiche Mitarbeiter, teilweise aus anderen Fachbereichen der Arbeitsagentur freiwillig als Helfer gemeldet. »Auch einige ehemalige Kollegen, die mittlerweile im Ruhestand sind, haben, gesagt, dass sie helfen wollen. Die haben wir ‚zurückgeholt‘ und ihnen ermöglicht im Homeoffice zur arbeiten. Inzwischen können die Unternehmen in durchschnittlich sieben Tagen mit einer Bewilligung ihres Antrages auf Kurzarbeitergeld rechnen«, erklärte Imkamp. Die Kurzarbeit sei mit dem Beginn des Lockdowns im März  binnen kürzester Zeit auf ein historisches Niveau gestiegen. »Der bisherige Höchststand wurde im April mit knapp 8.045 Personen in Kurzarbeit erreicht, das entspricht 13,7 Prozent aller sozial­versicherungspflichtigen Beschäftigten. In der Finanz- und Wirtschaftskrise arbeiteten in Summe im gesamten Jahr 2009 ‚nur‘ 3.195 Menschen kurz«, so Imkamp. Im Laufe des Jahres, parallel zu den Lockerungen im Sommer, ging der Trend wieder zurück.

Kurzarbeit auf Rekordhöhe

Von Januar 2020 bis Dezember 2020 wurden (teilweise Hochrechnungen zufolge) von 2.070 Unternehmen Kurzarbeit für insgesamt 20.818 Beschäftigte angezeigt. Zum Vergleich: In 2019 zeigten insgesamt 32 Betriebe für 2.084 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kurzarbeit im Kreis Euskirchen an. Bei einem (bundes-)durchschnittlichen Arbeitsausfall von etwa 38 Prozent habe der Einsatz von Kurzarbeit allein im April rechnerisch Arbeitsplätze für rund 3.060 Beschäftigte gesichert und deren (vorübergehende) Arbeitslosigkeit verhindert.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften habe sich 2020 erkennbar abgeschwächt. Insgesamt wurden 3.547 freie sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen für den Kreis Euskirchen bei der Agentur für Arbeit Brühl zur Besetzung gemeldet. Dies waren 635 Stellen (-15,2 Prozent) weniger als im Vorjahr.
Im Ausblick auf das kommende Jahr sieht der Chef der Brühler Arbeitsagentur das erste Quartal weiter stark beeinflusst durch die Pandemie. »In den vergangenen Monaten haben wir erleben müssen, wie unvorhersehbar diese Pandemie ist. Es bleibt abzuwarten, ob die zugelassenen Impfstoffe nachhaltig wirksam sind und wie schnell wir wieder zur Normalität zurückkehren können«, so Imkamp, »Ich bin voller Hoffnung und daher zuversichtlich, dass wir im April, Mai und Juni mit besseren Entwicklungen rechnen dürfen. Auch wenn eine Prognose aktuell einem Blick in die Glaskugel gliche, rechne Imkamp – auch mit der beschlossenen Verlängerung der Einschränkungen – mit keinem weiteren Einbruch am Arbeitsmarkt.

Strukturwandlel im rheinischen Revier

Im Krisenjahr 2020 habe die Arbeitsagentur Brühl auch ihre besonderen Schwerpunktthemen nicht aus den Augen verloren. Der durch den demografischen Wandel verstärkte Fachkräftebedarf im Kreis Euskirchen, der vorgezogene Ausstieg aus der Braunkohle und die hieraus resultierenden Herausforderungen bei der Strukturentwicklung im Rheinischen Revier, seien auch weiterhin leitende Themen. Im Sommer 2020 wurden das Kohleausstiegsgesetz und das Strukturstärkungsgesetz vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Damit existierte die gesetzliche Grundlage für den vorzeitigen Kohleausstieg und die finanziellen Strukturhilfen. Beim Thema Strukturentwicklung kam der Brühler Arbeitsagentur als Revieragentur für das Rheinische Revier eine bedeutende Rolle zu. Denn es bedarf hier besonders ihrer Arbeitsmarktexpertise zur Zukunftsfähigkeit von Berufen sowie vorhandener und benötigter Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten.
„Unternehmen im strukturellen und digitalen Wandel sind auf qualifizierte und gut ausgebildete Arbeitnehmer angewiesen“, so der Arbeitsmarktexperte und Leiter der Revieragentur, Rainer Imkamp. Die Revieragentur Brühl nehme hier im Binnenverhältnis mit den Netzwerkpartnern unterschiedliche Aufgaben wahr. Neben der Beratung und Unterstützung zu verschiedenen Anliegen in Bezug auf den Kohleausstieg gibt es auch diverse Beteiligungen in Formaten und Gremien. So müsse beispielsweise der Kontakt zu den Bildungsanbietern der Region sehr eng sein, um notwendige Qualifizierungsmaßnahmen schnell und zielgerichtet einrichten zu können. „Die Berufsberaterinnen und Berufsberater, die für die Menschen der Region zuständig sind, die bereits im Erwerbsleben stehen, halten für diesen Personenkreis auch besondere Beratungsangebote vor. Sie verfolgen die Entwicklungen im Rheinischen Revier besonders eng und behalten insbesondere potentielle Zukunftsfelder im Blick“, beschreibt Imkamp die Teilbereiche der Aktivitäten.

Weiterbildungskampagne gestartet

Mit dem Online-Business-Talk startete im November außerdem eine große Weiterbildungskampagne der Brühler Arbeitsagentur. „Noch bis Ostern 2021 gehen wir innovativ und proaktiv auf rund 2.500 Betriebe im Agenturbezirk zu, die aus unserer Sicht potenzialreich sind, was die Qualifizierung und damit Weiterentwicklung ihrer Beschäftigten angeht. Hier werben wir aktiv für die Nutzung der Förderungen nach dem Qualifizierungschancengesetz“, so Imkamp weiter. „Natürlich sind die Arbeitgeber selbst in der Verantwortung, für ihre Firmen neue Geschäftsfelder zu identifizieren. Aber wenn daraus Qualifizierungsbedarfe bei den Beschäftigten entstehen, können wir helfen.“
Außerdem habe die Brühler Revieragentur in diesem bedeutenden Transformationsprozess auch eine Vorreiterrolle inne. Das Rheinische Revier sei als erstes Revier von den Kraftwerksabschaltungen betroffen. Daher seien die vorbereitenden Aktivitäten der Politik, der Unternehmen, der Gesellschaft und der Revieragentur im Rheinischen Revier am weitesten fortgeschritten. Um andere Reviere in ihren Aktivitäten zu unterstützen und auch alle anderen Mitarbeitenden zu befähigen, habe die Brühler Revieragentur interne Blaupausen entwickelt.

Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt

Auch auf dem Ausbildungsmarkt führte die Corona-Pandemie in 2020 zu einer ungewöhnlichen Entwicklung. Bis in den Januar 2021 hinein suchen Unternehmen und Betriebe, unterstützt von allen Partnern am Ausbildungsmarkt, nach passenden Bewerberinnen und Bewerbern, um ihre zum klassischen Ausbildungsstart im September noch unbesetzt gebliebenen Ausbildungsplätze zu besetzen. „Hier läuft die Nachvermittlung noch auf Hochtouren. Daher möchten wir das corona-bedingte 5. Quartal auch erst Ende Januar bilanzieren“, so Imkamp. „Der harte Lockdown mit den Schulschließungen im Frühjahr traf genau die heiße Phase am Ausbildungsmarkt, wenn viele Auswahlgespräche stattfinden und viele Jugendliche sich auf Ausbildungsplätze bewerben“ erklärt Imkamp. Deshalb hätten sich die Partner am Ausbildungsmarkt auf eine Verlängerung des diesjährigen Ausbildungsmarktes geeinigt. „Eine Corona-Lücke am Ausbildungsmarkt für dieses und nächstes Jahr können wir uns nicht leisten. Jeder nicht besetzte Ausbildungsplatz bedeutet in Zukunft eine Fachkraft weniger. Das müssen wir gemeinsam mit aller Energie verhindern. Denn die Unternehmen erleben schon aufgrund der demografischen Entwicklung Engpässe bei der Suche nach Nachwuchs.“
Die Nachvermittlung liefe deswegen zusammen mit den Partnern der Allianz für Ausbildung bis Ende Januar 2021 weiter. Man wolle laut Imkamp alle Chancen nutzen.


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