Kaisersesch. Das »Wasserstoff-Quartier« in Kaisersesch sollte ein technologisches Prestigeprojekt in der Eifel werden. Doch zweieinhalb Jahre nach dem Spatenstich scheint sich das millionenschwere Vorhaben zum Flop zu entwickeln. Denn die Verantwortlichen bekommen das Herzstück der Anlage, einen Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff erzeugen soll, nicht ans Laufen. Deshalb wird nun Wasserstoff kilometerweit per Lkw nach Kaisersesch gebracht – um dort an gerade einmal zwei Kunden verteilt zu werden.Von Mario Zender
Auf zahlreichen Veranstaltungen präsentiert sich Bürgermeister Albert Jung stolz mit dem Projekt »SmartQuart« – eines von nur drei Quartieren dieser Art in Deutschland und das einzige in Rheinland-Pfalz. Die beiden anderen befinden sich in Essen und Bedburg in Nordrhein-Westfalen.
Mit rund 60 Millionen Euro an Steuergeldern subventionierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie das ambitionierte Projekt. Ein zentrales Ziel: Die Herstellung von grünem Wasserstoff direkt in Kaisersesch.
Doch das »Leuchtturmprojekt« droht nun zum Rohrkrepierer zu werden. Denn auch zweieinhalb Jahre nach dem symbolischen Spatenstich im Oktober 2022 produziert die Anlage keinen einzigen Kubikmeter Wasserstoff.
Was dagegen ungebremst fließt, sind die Lobeshymnen des Bürgermeisters. Am 21. März beispielsweise verkündete Albert Jung auf der ersten Seite des amtlichen Mitteilungsblatts der Verbandsgemeinde eine frohe Botschaft: »Der Wasserstoff strömt im Quartier in Kaisers-esch – Nach dem erfolgreichen Testbetrieb im vergangenen Jahr ist Anfang Februar 2025 im Wasserstoffquartier der Regelbetrieb aufgenommen worden: Ein entscheidender Moment für das Modellprojekt SmartQuart.« Die rund 16.000 Einwohnerinnen und Einwohner der Verbandsgemeinde dürften sich vermutlich über diese Nachricht gefreut haben – wären da nicht gravierende Probleme, über die der Bürgermeister die Öffentlichkeit allerdings im Unklaren lässt.
Nach Recherchen des WochenSpiegel ist es den beteiligten Fachleuten sowie dem Hersteller der Anlage bislang nicht gelungen, den zentralen Elektrolyseur – also die technische Herzstückkomponente zur Wasserstoffproduktion – in Betrieb zu nehmen. Ein Vorzeigeprojekt dieser Größenordnung und Kosten, dessen Herz nicht schlägt.
Auf Anfrage des WochenSpiegel gibt sich die Verbandsgemeinde wortkarg: »Auf die lokale Wasserstofferzeugung im Quartier wird vorerst verzichtet, da die Erzeugungsanlage nicht rechtzeitig fertiggestellt und in Betrieb genommen werden kann«, so die Verbandsgemeinde auf Anfrage.
Da die eigene Wasserstoffproduktion nicht funktioniert – der Elektrolyseur kommt einfach nicht ans Laufen – wird derzeit Wasserstoff per Lkw nach Kaisersesch geliefert. »Stattdessen nutzen wir via Trailer angelieferten grünen Wasserstoff, um die gesamte Infrastruktur auf Funktionalität und Leistungsfähigkeit zu prüfen. So gewinnen wir Messwerte und Daten für eine Heizperiode, um aussagekräftige Ergebnisse zu generieren«, bestätigt die Verbandsgemeinde Kaisersesch auf Anfrage des WochenSpiegel die Lieferungen.
Warum dies so ist, erläutert Bürgermeister Jung nicht.
Heißt konkret: Der Wasserstoff wird aus anderen Regionen herangeschafft und in Kaisersesch an die wenigen Kunden verteilt. Und wie viele sind das überhaupt?
Auf die weiterführende Frage, ob die Inbetriebnahme überhaupt noch geplant sei, reagiert die Verwaltung noch zugeknöpfter: »Aufgrund der unter den Projektpartnern beziehungsweise mit dem Hersteller vereinbarten Vertraulichkeit können wir zu solchen Fragen derzeit leider extern keine Stellungnahme abgeben.«
Nach Recherchen des WochenSpiegel gibt es lediglich zwei Abnehmer: Zum einen das Unternehmen Viessmann, das den Wasserstoff in Brennstoffzellen-Heizsystemen nutzt – unter anderem zur Beheizung von Gebäuden der Verbandsgemeinde. Zum anderen ein weiteres Unternehmen, das den angelieferten Wasserstoff speichert. Doch woher genau stammt der Wasserstoff – und wie umweltfreundlich ist seine Anlieferung? Laut David Kryszons, Senior Business Manager bei E.ON und Gesamtprojektleiter von »SmartQuart«, stammt der aktuell gelieferte Wasserstoff »aus einem modernen Elektrolyseur hier aus der Region in Rheinland-Pfalz«.
Recherchen des WochenSpiegel belegen allerdings: Auch aus dem Ausland wird Wasserstoff kilometerweit nach Kaisersesch transportiert. Auf Nachfrage bestätigt die Verbandsgemeinde: »Ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen organisiert und koordiniert die Lieferungen. Dabei wird Wasserstoff aus Quellen in Deutschland und Österreich geliefert.«
Den Verantwortlichen des Projekts ist der nicht funktionierende Elektrolyseur offenbar selbst peinlich.
Deshalb nimmt die Gesamtprojektleitung bei E.ON auch Einfluss auf die Öffentlichkeitsarbeit der Verbandsgemeinde. Recherchen des WochenSpiegel belegen, dass in einer E-Mail der Verbandsgemeinde an VG-Ratsmitglieder eine Pressemitteilung übermittelt wurde. Gleichzeitig weist eine Mitarbeiterin der VG darauf hin, dass diese Info nicht an die Medien weitergegeben werden darf.
Zitat aus dem Schreiben (liegt dem WochenSpiegel vor):
»Bitte beachten Sie, dass wir von der Gesamtleitung SmartQuart (E.ON) keine Genehmigung zur Veröffentlichung in den regionalen Medien erhalten haben. Wir möchten Sie deshalb höflich darum bitten, die Pressemitteilung vertraulich zu behandeln und nicht weiterzugeben«, so das Schreiben der VG an die Ratsmitglieder.
Unfassbar, bei einem Projekt, das mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus Steuergeldern subventioniert wurde.
Was von den Verantwortlichen ebenfalls nicht an die große Glocke gehangen wird, ist die geringe Menge an angeliefertem Wasserstoff, die in Kaisersesch tatsächlich derzeit benötigt wird. Angesichts dieses minimalen Anteils scheint es der Verbandsgemeinde und ihren Partnern womöglich sogar gelegen zu kommen, dass der Elektrolyseur noch nicht funktioniert. Denn laut Angaben der VG Kaisersesch beläuft sich der monatliche Bedarf an Wasserstoff auf lediglich 1,5 bis 2 Tonnen.
Zum Vergleich: Der angeschaffte, aber bislang nicht funktionstüchtige Elektrolyseur könnte bei einer Leistung von einem Megawatt täglich rund 430 Kilogramm grünen Wasserstoff erzeugen.
Das bedeutet: Um den derzeitigen Bedarf von Kaisersesch zu decken, wäre die millionenteure Anlage nur an rund viereinhalb Tagen im Monat ausgelastet. Albert Jung ist dennoch offenbar stolz auf das Wasserstoffprojekt. Auf der projekteigenen Webseite smartquart.energy wird er wie folgt zitiert: »Hier wird gewährleistet, dass die Energie in die urbanen Räume transportiert wird und die Wertschöpfung in der Verbandsgemeinde Kaisersesch bleibt. Wir sind das einzige Reallabor in Rheinland-Pfalz, darauf können wir stolz sein«, so Jung. Dass die Wertschöpfungskette des Wasserstoffs – der irgendwo anders produziert und kostspielig nach Kaisersesch gebracht wird – davon offenbar ausgenommen ist, scheint den Bürgermeister nicht zu stören.
Auf einer Veranstaltung erläuterte Marvin Rommerskirch, Quartiersleiter von »SmartQuart« Kaisersesch, dass mit einer möglichen Tagesproduktion von 430 Kilogramm Wasserstoff etwa zwölf Busse betankt werden könnten. Dabei wäre gerade im Kreis Cochem-Zell der Bedarf an Wasserstoff-Tankungen für Busse vermutlich deutlich höher. Nur läuft – anders als die neuen Buslinien – der Elektrolyseur eben nicht rund...
www.kaisersesch.de/smartquart