Mario Zender

Starker Anstieg der Insolvenzen: Was sind die Gründe?

Ist sei vielen Jahren als Insolvenzanwalt tätig: Ingo Grünewald aus Bullay.

Ist sei vielen Jahren als Insolvenzanwalt tätig: Ingo Grünewald aus Bullay.

Bild: Privat

KREIS.WochenSpiegel-Interview mit Insolvenz-Experte Rechtsanwalt Ingo Grünewald von der renommierten Kanzlei Professor Schmidt in Trier

Das Statistische Bundesamt hat mitgeteilt, dass die Insolvenzen im Oktober um 22,9 Prozent zum Vormonat gestiegen sind. Wir sprachen mit dem erfahrenden Insolvenzanwalt Ingo Grünewald von der renommierten Rechtsanwaltskanzlei Professor Schmidt in Trier. Grünewald hat in seiner Laufbahn bundesweit eine Vielzahl von Insolvenzen betreut und erläutert im Gespräch mit dem WochenSpiegel die aktuelle Entwicklung.  
Wie bewerten Sie den aktuellen Anstieg der Insolvenzzahlen und welche Auswirkungen sehen Sie kurzfristig für die deutsche Wirtschaft ?
Ingo Grünewald: Der Anstieg der Insolvenzzahlen ist ein Phänomen, das im größeren Kontext betrachtet werden sollte. Wenn man einen längeren Zeitraum analysiert, beispielsweise ab 2009, zeigt sich ein klarer Abwärtstrend bei den Unternehmensinsolvenzen bis 2021. 
Während 2009 noch über 32.000 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland gemeldet wurden, sank die Zahl bis 2021 auf unter 14.000, was einem historischen Tiefstand entspricht. 
Dieser Rückgang war vor allem auf die massiven staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zurückzuführen, die Unternehmen in den Krisenjahren ab 2020 erhalten haben.  
Der moderate Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 2022 und 2023 auf rund 18.000 Fälle zeigt, dass sich der Markt nach den pandemiebedingten Verzerrungen langsam normalisiert. Der deutliche Anstieg um 26,5 Prozent im ersten Quartal 2024, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, deutet jedoch darauf hin, dass sich dieser Trend in diesem Jahr weiter fortsetzt. Sollte dieser Anstieg auch in den kommenden Jahren anhalten, wäre dies keine überraschende Entwicklung.
Ein gewisses Maß an Insolvenzen, das zu einem Marktaustritt schwacher und nicht wettbewerbsfähiger Unternehmen führt, ist für eine gesunde Volkswirtschaft notwendig. 
Experten führen steigende Energiekosten, Fachkräftemangel und Bürokratie als Gründe an. Welchen Faktor sehen Sie persönlich als den größten Treiber für die Insolvenzwelle? 
Ingo Grünewald: Nach einer langen Phase der historisch niedrigen Zinsen, hat die Erhöhung der Leitzinsen durch die Zentralbanken die Finanzierungskosten vieler Unternehmen erheblich verteuert. Unternehmen, die sich in der Niedrigzinsphase stark verschuldet haben oder ohnehin mit dünner Kapitaldecke agieren, stehen nun unter immensem Druck. Diese Situation wird durch den gleichzeitigen Rückgang der Liquiditätspolster, die während der Pandemie durch staatliche Hilfen aufgebaut wurden, zusätzlich verschärft.  
In Kombination mit den Nachwirkungen der Pandemie, steigenden Energie- und Rohstoffkosten sowie einer sinkenden Kaufkraft der Verbraucher, ergibt sich ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld, in dem viele Unternehmen nicht mehr bestehen können.  Es handelt sich also weniger um einen einzelnen Faktor, sondern vielmehr um ein Zusammenspiel von wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen – wobei die Zinswende den entscheidenden Auslöser darstellt.
Besonders stark betroffen sind die Bereiche Verkehr, Gastgewerbe und Bau. Wie sieht es in unserer Region aus und warum trifft es gerade diese Branchen so hart?
Ingo Grünewald: Nach der Pandemie haben viele Beschäftigte das Gastgewerbe verlassen, wodurch die Rekrutierung neuer Mitarbeiter zur großen Herausforderung geworden ist. Gleichzeitig belasten hohe Energie- und Lebensmittelpreise die Branche, da sie die Betriebskosten erheblich in die Höhe treiben. Zusätzlich führt die Inflation dazu, dass Menschen seltener auswärts essen oder reisen, was die Umsätze im Gastgewerbe spürbar sinken lässt. 
Auch im Baugewerbe zeigt sich eine angespannte Situation: Steigende Zinsen und Materialkosten haben die Baukosten deutlich erhöht, während die Investitionsbereitschaft, insbesondere im Wohnungsbau, zurückgegangen ist. Nach Jahren des Booms führt dies zu einer Nachfragedelle, die in einigen Bereichen sogar einem Einbruch gleichkommt. Die Bereiche Verkehr und Spedition stehen durch hohe Treibstoffkosten, den akuten Fahrermangel und zunehmende bürokratische Anforderungen unter immensem Druck. Besonders belastend sind die marode In-
frastruktur und Baustellen in unserer Region, die zu Verzögerungen und steigenden Kosten führen. Gleichzeitig führt die sinkende Konsumnachfrage infolge der Inflation zu einem Rückgang der Transportvolumina, was die wirtschaftliche Lage zusätzlich verschärft.
Schlussendlich befinden sich einige Branchen in einem tiefgreifenden Strukturwandel, wie beispielsweise die Automobilindustrie. Solche Veränderungen können Regionen besonders stark treffen, wenn sie stark von einer einzelnen Branche abhängig sind. 
Allerdings bin ich der Ansicht, dass unsere Region von diesen Entwicklungen weniger betroffen ist, als andere Teile Deutschlands.
Viele Unternehmen haben während der Niedrigzinsphase überlebt und geraten jetzt unter Druck. Sind diese Unternehmen aus Ihrer Sicht strukturell nicht wettbewerbsfähig oder Opfer der gestiegenen Kosten?
Ingo Grünewald:  Die Niedrigzinsphase in Verbindung mit umfangreichen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen hat es vielen Unternehmen ermöglicht, die Pandemie und die vergangenen Jahre zu überstehen. Allerdings stehen nun viele Bankkredite, die im Rahmen der Corona-Hilfen gewährt wurden, zur Rückzahlung an. Zusätzlich werden die unbürokratisch ausgezahlten Corona-Wirtschaftshilfen jetzt abschließend abgerechnet. Schätzungen zufolge sehen etwa 20 Prozent der Schlussbescheide Rückforderungen vor.
Diese Hilfen und Fördermaßnahmen wurden auch Unternehmen gewährt, die möglicherweise bereits vor der Cornona-Krise wirtschaftlich angeschlagen waren. Infolgedessen werden derzeit zahlreiche Insolvenzverfahren nachgeholt, die in den vergangenen Jahren eigentlich notwendig gewesen wären. Die Ursachen für diese Insolvenzen liegen daher nicht zwingend in den aktuellen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Wie gehen Unternehmen am besten vor, wenn es zu finanziellen Engpässen kommt und eine Insolvenz drohen könnte?  
Ingo Grünewald: Wenn eine Insolvenz unvermeidbar ist, sollte der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt werden, bevor sämtliche Mittel erschöpft sind oder die Geschäftsleitung sich dem Vorwurf der Insolvenzverschleppung ausgesetzt sieht. In den ersten Tagen des Verfahrens liegt der Fokus auf der Stabilisierung des Geschäftsbetriebs. Besteht weiterhin eine Marktberechtigung für die angebotenen Produkte oder Dienstleistungen, bestehen oft gute Chancen, den Betrieb zu erhalten. Die Insolvenzordnung ist nicht nur auf die Abwicklung von Unternehmen ausgerichtet, sondern bewusst als Sanierungsinstrument gestaltet, um Unternehmen mit einem tragfähigen Geschäftsmodell eine Zukunft zu ermöglichen. 
Sie bietet dem Unternehmer mitunter Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten, die außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht verfügbar wären.
Offene und transparente Kommunikation mit allen Beteiligten – Banken, Kunden und Lieferanten – ist in dieser Phase essenziell. 
Eine Insolvenz sollte nicht als persönliches Scheitern betrachtet werden, sondern vielmehr als Gelegenheit für einen Neustart. In Ländern wie den USA ist es selbstverständlich, auch nach einer Insolvenz wieder unternehmerisch aktiv zu werden. Rückblickend sagen viele Betroffene: »Hätten wir den Antrag doch früher gestellt – wir hätten uns viel Stress und unnötige Verluste ersparen können.«
(Die Fragen stellte Mario Zender).

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