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"Memo": Erinnerungen werden zu Kunst

Wittlich. Junges Künstlertrio zeigt interessante Ausstellung in der Autobahnkirche St. Paul.
Luis Weiß, Nathalie Brum und Lukas Schäfer (vlnr.) haben sich für das Medienkunstprojekt "Memo" zusammengetan. Die drei leben und arbeiten im Raum Köln.

Luis Weiß, Nathalie Brum und Lukas Schäfer (vlnr.) haben sich für das Medienkunstprojekt "Memo" zusammengetan. Die drei leben und arbeiten im Raum Köln.

Bild: Bistum Trier

Ein sphärischer Klang schwebt durch den hohen Raum der Autobahnkirche Sankt Paul, auf der Wand zeichnen sich schwarze und weiße Projektionen ab - Worte, ein Autobahnschild, ein Lastwagen und angedeutete menschliche Wesen, die emporschweben, sich drehen, um sich dann aufzulösen - flüchtig - wie die Erinnerungen, die sie illustrieren. Um eben solche Erinnerungen geht es bei dem Medienkunstprojekt "Memo", bei dem drei junge Künstler*innen aus Köln die Autobahnkirche in einen kreativen Ort des Erinnerns verwandelt haben. ´

Akustische Klänge und visuelle Effekte

Die Installation vereint akustische Klänge, komponiert von Lukas Schäfer und Luis Weiß, sowie visuelle Effekte von Nathalie Brum, die an die Wand projiziert werden. bis 8. Juli lohnt sich ein Stopp an der Autobahnkirche für alle, die im hektischen Alltag ein Erlebnis suchen, das zugleich meditativ und zum Nachdenken anregend, auf jeden Fall aber einmalig und berührend ist. Eine große Rolle für das Kunst-Projekt spielt auch ein Gegenstand, der so gar nicht in die Kirche am Rand der Stadt, nahe der A1, passen will: ein Vintage-Telefon, scheinbar geradewegs den 1950er Jahren entsprungen.

Ein Telefon als interaktiver Anrufbeantworter

Auf einem Sockel steht es, schwarz, mit schwerem, abnehmbarem Hörer und Wählscheibe. Was es damit auf sich hat, erklären Luis Weiß und Lukas Schäfer, alias "Betonklang": "Wir haben dieses Telefon so präparieren lassen, dass es wie ein interaktiver Anrufbeantworter funktioniert, der anleitet und Fragen stellt. Die konnte man beantworten oder eigene Erinnerungen und Gedanken aufsprechen", erklärt Weiß. Der Fokus auf das Thema "Erinnerungen" kam Lukas Schäfer zum einen, weil er sich persönlich familiär bedingt damit beschäftigte und zum anderen, weil Sankt Paul in direkter Nachbarschaft zu einer Seniorenresidenz liegt, die einen Schwerpunkt auf die Betreuung von Menschen mit Demenz-Erkrankungen und der Palliativbetreuung legt.

Wie kann man Erinnerungen "konservieren"?

"Da kam das Schlagwort Erinnerung mit einer ganz anderen Brisanz. Was passiert, wenn man einfach physiologisch nicht mehr in der Lage ist, Erinnerungen zu behalten, was geschieht, wenn sie verloren gehen. Wir fragten uns dann, wie können wir Erinnerungen konservieren? Wir wollten nichts in den luftleeren Raum gestalten, sondern eine Verzahnung mit den Menschen haben, die in der Umgebung leben, die sich hier engagieren", sagt Schäfer. Auch das Gedenken an die Zwangsarbeiter, die während des Nazi-Regimes Teile der naheliegenden Autobahn erbauten, sei mit in die Projektionen eingeflossen, fügt Brum hinzu.

Autobahnkirchen als niedrigschwelliges Angebot an die Menschen

Rund ein halbes Jahr hat sich das Trio von der ersten Idee bis zur finalen Umsetzung mit "Memo" beschäftigt. Dabei ist es nicht die erste Autobahnkirche, für die Weiß und Schäfer ein Kunstprojekt umsetzen, und es wird nicht die letzte bleiben, fügen sie mit einem Lächeln hinzu. Im Dezember stieß Architektin und Künstlerin Nathalie Brum hinzu, mit der die beiden damals musikalisch zusammenarbeiteten. Die 48 Autobahnkirchen in Deutschland finden sie deshalb so faszinierend, weil sie einen so niedrigschwelligen Zugang zu einem sakralen Ort bieten. "Es existiert, anders als vielleicht in manch anderen Kirchen, nicht so eine Hürde, hineinzugehen. Sie stehen teilweise sogar auf Raststätten und sind bis zu 24 Stunden geöffnet. Oft betreten Menschen sie eher zufällig", berichtet Weiß.

"Die waren neugierig und hatten Lust darauf"

Schäfer freut sich, dass der Förderverein der ökumenischen Autobahnkirche sofort positiv auf die Anfrage reagierte "Die waren neugierig und hatten Lust darauf." Sankt Paul war ursprünglich eine Klosterkirche der Steyler Missionare. Als der Orden sein Kloster aufgab, gründete sich 2009 in Wittlich ein Förderverein, der sich zur Aufgabe machte, die Kirche zu erhalten. So waren neben der Pfarrei Im Wittlicher Tal Sankt Anna und der Evangelischen Kirchengemeinde auch die Stadt Wittlich und die Stiftung Glaube und Leben des Bistums Trier und das Bonifatiuswerk neben anderen Geldgebern mit an Bord, um das Projekt zu finanzieren.

"Das gelingt selten in so kurzer Zeit", betont Luis Weiß. Memo startete am Tag der Architektur und am Tag der Autobahnkirchen Weiß und Schäfer komponierten jeweils eigene fünfminütige Miniatur-Stücke, arbeiteten mit den konkreten Sprachaufnahmen, aber auch mit einer Aufnahme des in Sankt Paul probenden Gospelchors. "Ein Mitglied des Chors hielt sein Handy an den Telefonhörer und spielte die Aufnahmen ab. Daraus haben wir gesampelt, verkürzt, verlängert, verfremdet, transponiert - und daraus neue Musik gebaut", gibt Weiß Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess.

Vernissage am Tag der Autobahnkirchen

Bei der Vernissage am 28. Juni kamen neben einem alten Kassettenrekorder mit den Sprachaufnahmen, einem Synthesizer aus den 1980ern, Mischpult und Samplern auch ein Flügelhorn und Stimmeffekte von Nathalie Brum zum Einsatz. Sie streute während der atmosphärisch dichten live-Performance auch Begriffe aus dem Straßenbau ein. Als Architektin sei sie sehr an ingenieurswissenschaftlichen Themen interessiert. "Ich finde es so schön, dass wir die Vernissage ausgerechnet auf das Wochenende des Tags der Autobahnkirchen und des Tags der Architektur gelegt haben. Am 30. Juni hatte das Trio noch ein kurzes Gastspiel beim ökumenischen Gottesdienst der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden um 15 Uhr, wo wieder kurze Parts aus der Klanginstallation zu hören waren.

Noch bis zum 8. Juli können Musik- Kunst- und Kulturliebhaber die "Memo"-Ausstellung noch erleben, kostenlos, täglich zwischen 8 und 20 Uhr.

Text: Simone Bastreri


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