"Ein Loch, das niemand füllen kann"
Das Haus der Familie Ovsjannikov wirkt auf den ersten Blick ruhig und friedlich, doch die Atmosphäre ist von Trauer und Schmerz durchzogen. Michas Vater, der uns empfängt, ringt sichtlich mit seinen Gefühlen. »Es ist ein Loch, das niemand füllen kann. Micha war unser Sonnenschein, immer da, um Probleme zu lösen, noch bevor sie entstanden«, berichtet er mit brüchiger Stimme. Die Mutter nickt zustimmend, während sie sich immer wieder die Tränen abwischt.
Schicksalsschlag, der eine Familie zerreißt
Die Familie hat den Verlust bis heute nicht vollständig verarbeitet. »Wir hoffen immer noch, dass er eines Tages zur Tür hereinkommt«, gesteht der Vater. Doch Hass auf den Täter verspüren sie nicht. »Wir wollen keine Rache, wir wollen Gerechtigkeit«, betont er und fügt hinzu, dass der Täter Reue zeigen und Verantwortung für seine Tat übernehmen müsse.
Besonders wütend macht die Familie, dass das Geständnis des Täters – ein US-Soldat – vor deutschen und amerikanischen Ermittlern nicht in den Prozess eingebracht wurde. Die Begründung: Es sei unter Zwang zustande gekommen. »Wie kann ein geständiger Mörder frei herumlaufen?«, fragt sich die Familie und äußert deutliche Kritik an den juristischen Abläufen. Aufgrund des NATO-Truppenstatuts wurde der Fall an die US-Behörden übergeben, was die Familie mit einem Gefühl der Ohnmacht zurückließ.Gemeinsam mit der Familie besuchen wir Michas Grab.
Emotionen am Grab
Der Schmerz ist dort fast greifbar. Jeden Tag kommen die Eltern her, legen frische Blumen und Kerzen nieder. »Das Grab ist unser Ort der Verbindung zu Micha«, sagt die Mutter, während sie eine Kerze anzündet. Auch Michas treuer Hund begleitet die Familie. »Er spürt, dass etwas nicht stimmt«, bemerkt die Mutter. Seit Michas Tod sei auch der Hund zurückgezogener und weniger lebhaft.
Julia Woit, Michas Cousine, berichtet, wie sehr der Verlust ihres Cousins sie belastet. »Es fühlt sich an, als hätte man mir ein Stück von mir selbst genommen«, sagt sie und kämpft mit den Tränen. Dennoch zeigt sie Entschlossenheit: »Ich werde nicht aufgeben. Micha verdient Gerechtigkeit, und ich werde alles dafür tun.«
Ein Zeuge spricht über die Tatnacht
Wir treffen auch Jan Kiebel, einen Augenzeugen der Tatnacht. Es ist das erste Mal, dass er öffentlich über die Geschehnisse spricht. Es war ein schrecklicher Abend. Das Bild werde ich nie vergessen«, erzählt er. Jan beschreibt, wie er sah, dass Micha und der Täter in der Triererstraße taumelten und schließlich stürzten. Gemeinsam mit einem Freund eilte er zur Hilfe, während die US-Soldaten in Richtung Marktplatz flohen.
Jan schildert, wie er sofort die Notrufnummer 112 wählte, jedoch wegen einer Überlastung der Leitungen niemand erreichte. Sein Freund alarmierte daraufhin das nahegelegene Sanitätszelt des Deutschen Roten Kreuzes. »Wir haben alles versucht, um Micha zu helfen, aber die Verletzungen waren zu schwer«, erinnert sich Jan. Die Bilder dieser Nacht verfolgen ihn bis heute. »Es hat mich verändert. So etwas wünsche ich niemandem.«
Forderung nach Gerechtigkeit geht weiter
Die Familie Ovsjannikov und ihre Unterstützer geben nicht auf. »Wir wollen, dass die Menschen nicht vergessen, was geschehen ist. Es geht nicht nur um Micha, sondern um ein gerechtes System«, sagt Michas Vater. Michael Ovsjannikov war nicht nur Sohn, Cousin und Freund, sondern auch eine Persönlichkeit, die viele Menschen in der Region geprägt hat. Sein Tod hinterlässt eine Lücke, die nicht geschlossen werden kann. Doch die Liebe und der Kampfgeist seiner Familie und Freunde halten seine Erinnerung lebendig.
Text: Kevin Schößler