Stephanie Baumann

"Es geht um Seelsorge auf Augenhöhe" - Im Gespräch mit Pater Albert Seul

"Welche Schuhe trägt der Papst?", "Neuer Wein in alte Schläuche", "Schafe, die mit Wölfen heulen" - schon die Kapitelüberschriften des neuen Buches von Pater Albert Seul (OP) machen neugierig. "Auf diese Steine sollten wir bauen" lautet der Titel, und der Klausener Wallfahrtsrektor ist überzeugt: Eine zukunftsfähige Kirche ist möglich - aber nur, wenn sie den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Ein Gespräch über unbequeme Wahrheiten, neue Wege und die Hoffnung auf Veränderung.

Tiersegnungen, Auto-Gottesdienste, Kultur- und Naturveranstaltungen, aber auch das ungeschönte Aufzeigen von Missständen in der Katholischen Kirche: Dafür steht Pater Albert. Der 54-Jährige Dominikaner ist u.a. Wallfahrtsrektor in Klausen.

Tiersegnungen, Auto-Gottesdienste, Kultur- und Naturveranstaltungen, aber auch das ungeschönte Aufzeigen von Missständen in der Katholischen Kirche: Dafür steht Pater Albert. Der 54-Jährige Dominikaner ist u.a. Wallfahrtsrektor in Klausen.

Bild: Tobias Marenberg

Wochenspiegel: Was hat Sie angetrieben, dieses Buch zu schreiben – und worum geht es im Kern?

Pater Albert Seul: »Ich habe mich gefragt: Mit welchen Bausteinen könnte man eine Kirche gestalten, die wirklich Zukunft hat? Dabei fließen viele Erfahrungen ein, die ich als Pater, Prediger und Seelsorger gesammelt habe. Das Buch ist eine Sammlung von Essays, kleinen Abhandlungen und Gedanken zur aktuellen Lage der Kirche und des Glaubens - vielleicht an manchen Stellen auch ein wenig frech. Ich denke, es ist pointierter, weniger glattgebügelt und durchaus auch widersprüchlich. Aber das spiegelt ja letztlich auch das wahre Leben wider.«

 An wen richtet sich Ihr Buch ganz konkret?

»Ich möchte sowohl die Entscheidungsträger in der Kirche als auch die Gläubigen erreichen. Es geht nicht darum, fertige Lösungen zu präsentieren — jeder ist eingeladen, seine eigenen Bausteine für eine Kirche mit Zukunft zu entdecken. Was mir Sorge macht: Der Weg, den die Kirche momentan einschlägt, wirkt auf mich wenig zukunftsfähig. Wenn wir so weitermachen, laufen wir Gefahr, zu einer kleinen, abgeschotteten Gruppe zu werden — fast schon zur Sekte. Die Kirche wird immer kleiner. Und dann stellt sich die Frage: Wenn wir uns von der alten Volkskirche verabschieden — was bleibt dann? Mein Buch ist deshalb auch ein Plädoyer, nicht ausschließlich auf die Tradition des 19. und 20. Jahrhunderts zu bauen. Ich bin überzeugt: Diese Zeit liegt in vielerlei Hinsicht hinter uns. Wir stehen an einem echten Wendepunkt — und das spüren wir nicht nur in der Kirche, sondern in vielen Bereichen unserer Gesellschaft.«

Was unterscheidet Ihr neues Buch von Ihrem vorherigen Werk?

»In meinem ersten Buch ging es stark um konkrete Erfahrungen während der Pandemiezeit – Seelsorge in der Krise, wenn man so will. Jetzt aber weite ich den Blick: Es geht nicht nur um praktische Formate, sondern um geistliche, strukturelle und theologische Fragen. Um eine Kirche, die mutig neue Wege geht und die auch spiritueller ist.«

Welche Grundpfeiler braucht es Ihrer Meinung nach, damit Kirche in Zukunft noch eine Relevanz in der Gesellschaft hat?

»Für mich ist ein Schlüsselbegriff dabei die sogenannte Verheutigung — also die Bereitschaft, sich wirklich auf die heutige Zeit einzulassen. Das klingt selbstverständlich, ist es aber leider nicht. Ein Beispiel: Die Kirche spricht gerne von Demokratie, lebt sie intern aber kaum. Entscheidungen werden oft von oben herab getroffen, Mitsprache fehlt vielerorts.

Verheutigung heißt für mich auch, dass sich das Papsttum selbst noch einmal neu erfinden muss. Wir müssen Seelsorge ganz neu denken: Wie erreichen wir junge Menschen? Junge Familien? Schon jetzt erreichen wir weite Teile der Gesellschaft nicht mehr. Wir wirken oft wie ein merkwürdiger Verein aus einer anderen Zeit.

Dabei gibt es eine große Sehnsucht nach Sinn, nach Spiritualität — das zeigen uns Coaches, Lebensberater oder Achtsamkeits-Trainer, die heute viele Menschen erreichen. Themen, die eigentlich zutiefst kirchlich wären. Nur: Wir kriegen es oft nicht mehr hin, diese Sprache zu sprechen oder die Herzen zu öffnen. Wir nutzen moderne Technik — aber lassen uns innerlich nicht wirklich auf die Moderne ein.«

Wie stellen Sie sich die Kirche in 20 Jahren vor?

»Wenn es gut läuft, wünsche ich mir eine viel mobilere Kirche — eine Kirche, die wirklich den Mut hat, zu den Menschen zu gehen. Nicht nur in den klassischen Kirchenraum, sondern dahin, wo Leben stattfindet: in Urlaubsregionen, auf Schiffen, in Freizeitparks, in Kneipen oder Gaststätten. Überall dort, wo Menschen sich begegnen. Es geht um niederschwellige Angebote, um Seelsorge auf Augenhöhe — vielleicht auch im Sinne von Coaching in verschiedenen Lebensbereichen.«

Sie sprechen von einer mobileren Kirche – welche konkreten Schritte sind nötig, um diese Veränderung wirklich umzusetzen?

»Wir machen in Klausen gute Erfahrungen damit — zum Beispiel mit unseren Schöpfungsabenden in Zusammenarbeit mit dem NABU, mit meditativen Ziegenwanderungen oder Projekten rund um Natur und Nachhaltigkeit. Auch mein neues »Patermobil« kommt super an. Kirche sollte  Menschen mitnehmen und ihnen den Wert der Schöpfung, von Gemeinschaft und Spiritualität nahebringen.«

 Was ist derzeit einer Ihrer größten Kritikpunkte?

»Ich sehe die Kirche in einem großen Spannungsfeld. Es gibt auf der einen Seite junge Menschen, die sehr konservativ glauben — das erstaunt mich immer wieder. Und auf der anderen Seite eine kirchliche Funktionärselite, die zwar Demokratie einfordert, aber dann Menschen ausgrenzt — etwa bei politischen Diskussionen. Wenn Bischöfe sagen, sie hätten keine Solidarität mehr mit Menschen, die bestimmte Parteien gewählt haben, finde ich das sehr problematisch. Kirche muss sich fragen, wie sie mit gesellschaftlicher Vielfalt umgeht.«

In jedem Kapitel Ihres Buches nennen Sie am Ende einen »Baustein«, den Sie den Lesern zum »Nachbau« empfehlen. Was ist Ihre zentrale Botschaft?

»Kirche hat Zukunft  - Aber nur, wenn sie sich voll und ganz auf die Gegenwart einlässt!«

Pater Albert, Ihr Buch "Auf diese Steine sollten wir bauen" stößt auf großes Interesse. Gibt es bereits Termine für Lesungen?

»Ja, es sind bereits mehrere Lesungen geplant. Ich freue mich u.a. auf Termine Beilstein, Bonn, Himmerod und Waxweiler. Diese Veranstaltungen bieten eine wunderbare Gelegenheit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und über die Themen meines Buches zu diskutieren.? Für diejenigen, die nicht persönlich an einer Lesung teilnehmen können, gibt es eine Aufzeichnung einer Buchvorstellung, die auf YouTube verfügbar ist.«

Dass Sie gerne schreiben, ist kein Geheimnis. Gibt es schon Pläne für weitere Buchprojekte?

»Ja, ich bin wirklich gerne Autor – das macht mir großen Spaß. Die Bücher führen ja auch immer zu Begegnungen: Ich werde zu Lesungen oder Predigten eingeladen, komme mit ganz unterschiedlichen Menschen ins Gespräch. Das ist bereichernd – neben meiner Aufgabe als Pfarrer eine echte Freude. Aktuell denke ich über eine Trilogie nach: Die Tiere und ihre Schöpfer, Der Mensch und sein Schöpfer und Die Engel und ihr Schöpfer. Biblisch und theologisch fundiert – aber gerne auch kreativ erzählt. Ich träume sogar von einem eigenen Krimi oder auch einem Fantasy-Roman. Ideen hätte ich genug – nur an der Zeit mangelt es momentan leider. . .«

Interview: Stephanie Baumann

 

Buchverlosung: Mitmachen und gewinnen

Wir verlosen drei handsignierte Bücher von Pater Albert Seul OP ("Auf diese Steine sollten wir bauen" - Bausteine für eine Kirche mit Zukunft, Paulinus-Verlag). Wer gewinnen möchte, schickt bis Montag, 5. Mai, eine E-Mail mit dem Stichwort "Neues Buch Pater Albert" an gewinnen@tw-verlag.de

Teilnahmebedingungen: www.wochenspiegellive.de/datenschutz


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