Volkstümliche Heilkunst in der historischen Eifel
Arzt und Apotheke waren früher auf dem Lande eine Seltenheit. Vielfach gab es im Umkreis von 50 Kilometer nicht einen Mediziner, Medikamente kannte man nur spärlich und bezahlen konnte man sie auch nicht. Nur in der größten Not suchte man den Arzt auf, und dies war mit vielen Schwierigkeiten verbunden.
Doch man wusste sich zu helfen. Ein wundersames Wissen um Kräuter, Tees und Wurzeln aus der "Herrgottsapotheke" sowie ein festes abergläubisches Vertrauen zu bestimmten Praktiken breitete sich aus, so dass eine Art "Volksmedizin" entstand. Viele Heilpflanzen, deren Namen und Anwendung man damals besser kannte als heute, wurden verwendet bei Krankheiten an Menschen und Vieh. Trotz vieler Pillen und Tropfen, die die moderne Medizin hervorgebracht hat, haben sich das Wissen und manche Hausrezepte bis heute erhalten und erleben in unseren Tagen sogar eine Renaissance. Die heilkräftigen Wirkungen von Kamille, Badrian, Schafgarbe, Hollunder, Linde, Minze, Brombeer oder Brennnessel sind unbestritten.
Bei beginnender Krankheit griff man zunächst nach diesen bewährten Hausmitteln, die in Feld und Wald reichlich zu finden waren. Eine gründliche Schwitzkur, so meinte man, treibt Schnupfen und Erkältung aus, die auch verschwindet, wenn man abends dreimal in die Strümpfe riecht, die man tagsüber getragen hat. Halsweh vergeht, wenn man einen Strumpf mit heißen Pellkartoffeln füllt und so um den Hals legt, dass die Ferse unmittelbar auf den Kehlkopf zu liegen kommt. Die früher recht häufigen Frostbeulen verschwinden, wenn man sie mit dem Brühwasser eines geschlachteten Schweins badet. Um Rheumatismus zu heilen, trägt man ständig in der linken Hosentasche drei reife Kastanien.
Bei Gerstenkörnern am Auge ist es nötig, die benachbarten Wimpern auszureißen. Der Schluckauf vergeht, wenn man den Atem anhält und darüber nachdenkt, wo man das letzte Mal einen Schimmel (Pferd) gesehen hat. Nasenbluten hört auf, wenn man stillschweigend zwei Strohhalme kreuzweise übereinander legt und das Blut darauf tropfen lässt. Bei Entzündungen hilft ein Aufschlag von frischem Kuhdünger, bei Blutungen werden Spinngewebe auf die Wunde gelegt. Bekannt war auch das Anzapfen von ungesundem Blut durch Blutegel, auch das "Aderlassen" wurde allgemein mit großer Regelmäßigkeit betrieben, besonders in der Frühjahrszeit. Hundefleisch und besonders Hundefett diente Lungenkranken zur Heilung. Bisse heilte man durch das Auflegen von Hundehaaren auf die Wunde.
In noch höherem Ansehen als die Hausmittel standen bei unseren Vorfahren die zahlreichen Zaubermittel und -handlungen, um so Krankheiten auf Pflanzen, Tiere und Menschen zu übertragen. Am Beispiel der Behandlung von Warzen lässt sich dies besonders gut darstellen. Mancherorts ist von diesem "Glaubensgut" noch heute etwas zu spüren. Wer die Warzen eines anderen zählt, bekommt selbst welche. Wenn man einem anderen Warzenblut auf die Hand tupft, so bekommt dieser auch Warzen. Warzen verschwinden, wenn man auf dem Felde ein Strohseil findet und damit die Warzen stillschweigend bestreicht. Auch mit dem Öl, das in der Totenlampe gebrannt hat, kann man Warzen vertreiben. Sie vergehen auch, wenn man in einen Nähfaden so viele Knoten macht, als man Warzen hat und den Faden stillschweigend unter einem Stein vergräbt.
Auch der Saft der gelben Schnecken besitzt heilkräftige Wirkung. Beim Erklingen der Totenglocke wäscht man die Warzen am fließenden Wasser ab und spricht dabei: "Es läutet, Warzen ich wasche euch ab". Erfolgreich ist es auch, wenn der mit Warzen Behaftete darauf achtet, ob während der heiligen Wandlung jemand spricht. Ist dies der Fall, so muss er über die Warzen streichen und dabei sprechen: "Was ich sehe ist Sünd, was ich berühre vergehe geschwind". Der unandächtige Schwätzer wird dann die Warzen bekommen.
Ohne Zweifel finden sich in der volkstümlichen Heilkunst Spuren germanischen Geisterglaubens. Unsere Vorfahren glaubten, ihre Krankheiten würden durch kleine Quälgeister hervorgerufen, die im Menschen hausen und durch das "Besprechen" vertrieben werden könnten. Dieses "Besprechen" wird mit dem Bekreuzen, Bestreichen und Umfahren der kranken Stelle verbunden. Diese Praxis war überall verbreitet, auch nach dem Einzug des Christentums hielten sich hartnäckig heidnischer Glaube und Zaubergesinnung. Die dabei gebrauchten Formeln sind entweder kurze Befehle, die das Verschwinden einer Krankheit bewirken sollen, oder sie werden in Form einer kleinen Erzählung gegeben.
Bei Krankheiten an Mensch und Vieh kam häufig der Gesundbeter ins Haus, um durch einen geheimnisvollen Zauber- oder Segensspruch Heilung und Gesundheit zurückzubringen. Die meisten der bekannten Segenssprüche weisen hin auf die Zaubersprüche unserer Vorfahren. So zeigt beispielsweise der Segensspruch, der bei Gliederverrenkung angewandt wurde, große Ähnlichkeit mit einem der Merseburger Zaubersprüche, nur mit dem Unterschied, dass an Stelle der germanischen Gottheiten christliche Heilige getreten sind. Ein Beispiel:
"Ritt Sankt Georg sein Pferdchen über Stock und Stein,
und verrenkt sich Fuß und Bein,
war bald wieder heil".
Deutlich zeigt sich die innige Verbindung zwischen dem christlichen Gottesglauben und heidnischem Volksglauben. Wie der Geisterbeschwörung eine kurze Erzählung vorausgeschickt wurde, so begannen die Besprechungsformeln zumeist auch in Form einer Erzählung, die von Krankheitserscheinungen ähnlicher Art berichtet. Der Spruch wurde im Flüsterton gesprochen, dreimal ein Kreuzzeichen über die kranke Stelle gemacht und drei Vaterunser gesprochen. Die Zahlen drei und sieben spielten dabei eine besondere Rolle, sie galten als besonders heilkräftig (Dreifaltigkeit, sieben Schmerzen Mariens usw). Wichtig war vor allem, dass der Erkrankte an die Heilkraft des Zauberspruches glaubte.
Meist waren es ältere Frauen, die die "Besprechungen" vornahmen.
Heute lächeln wir über diese Zauberpraktiken und Riten. Heil- und Schutzmittel sowie Segenssprüche und Besprechungen sind uns fremd. Unseren Vorfahren waren sie jedoch wichtige Hilfen in oft aussichtslosen Lagen.
Auszug aus den "Eefler Verzellcher", Joachim Schröder