gepostet von Julia Borsch

Hopp-hopp, ihr Kühchen!

Region. Als Hütejunge in den 50er Jahren im Einsatz - Einen neuen Beitrag in der Reihe "Eefeler Verzellcher" liefert Autor Joachim Schröder.
Ein Kuhjunge bei der Arbeit im Eifeldorf, 1955.

Ein Kuhjunge bei der Arbeit im Eifeldorf, 1955.

Bild: Archiv, Joachim Schröder

Wir schreiben das Jahr 1954. Der kleine Junge befindet sich ein Jahr vor der Einschulung und muss bereits kräftig in der Landwirtschaft mithelfen. Der Vater ist Maurer und fährt täglich mit dem Moped nach Prüm, um das Einkommen der (bis dahin) vierköpfigen Familie sicher zu stellen. Die Mutter hat genug mit der Hauswirtschaft, dem Garten und den täglich anfallenden Kleinarbeiten zu tun.
Die Verhältnisse sind eher karg, das Dach des Hauses nur notdürftig gedeckt, es gibt vielerlei undichte Stellen an den Bruchsteinwänden, bei Wind tanzen die Gardinen nach links und rechts. In der Küche ist es wohlig-warm, andere Zimmer sind nur teilweise oder gar nicht beheizt, natürlich mit Holz und Brikett. Auf dem Küchenherd pfeift den ganzen Tag der Wasserkessel, im Hof machen sich die Hühner breit und das Schwein grunzt im engen Stall. Seine Mitbewohner: zwei kleine Kälber.


Und wo sind die Kühe? Die starten soeben selbstständig im Hof, biegen auf die noch kaum befahrene ungeteerte Dorfstraße ein und traben zu viert hinunter Richtung Bahnhof. Der kleine "Kuhjunge", bepackt mit Rucksack und einem Stock in der Hand, führt das Vieh dann zur Sommerwiese "In der Laach", auf halber Strecke zum Nachbarort Pittenbach. Diese Wiese wurde zwei Wochen zuvor gemäht, das Heu mit dem Leiterwagen in die heimischen Scheunen gefahren. Als Zugtiere dienten bei uns nur Kühe.
"Hopp-hopp" heißt es unterwegs, wenn ich die Kühe mal antreibe, weil Emma, Schess, Frieda und Klär in die Böschung naschen gehen oder eine andere grüne Fläche sie anlockt. Für mich problematisch wird es, wenn eine andere Kuhherde aufkreuzt und die Tiere sich untereinander vermischen. Für diesen Fall hat der Vater unsere Kühe mit einem Farbstift markiert, so dass man sie wieder trennen kann. Gott sei Dank!


Am alten Bahnhof zischt und braust es, mehrere Loks machen sich hier startklar für die Weiterfahrt nach Prüm, Bleialf, Waxweiler oder Neuerburg. Der Weg selbst ist in der hinteren Bahnhofsstraße ein einziges Schlagloch, an der ehemaligen Mühle jenseits der Prüm sind noch deutlich die Spuren des Krieges zu sehen - zahllose Bombentrichter lassen auf ein heftiges "Gewitter" vom Eifelhimmel schließen.
In Höhe des Sportplatzes biegt meine kleine Herde rechts ein, überquert einen Teil des Platzes und verharrt dann vor einem Gatter, das ich öffnen und schließen muss. Hier befindet sich eine weitere kleine Herde im eingefriedeten Bereich. Schließlich geht es durch ein weites Schlammloch, wo einst die "alte Prüm" ihren Lauf nahm, um dann endlich auf die eigene Wiese zu gelangen. Diese bemisst sechs Morgen, ist nur teilweise eingezäunt und wird von der "neuen Prüm" durchflossen. Genau in der Mitte der Weide biegt das Gewässer abrupt nach links ab, um dann dorfwärts an einem steilen Hang vorbei in Richtung Wehr zu fließen.


Nunmehr hat der Hütebube erst mal Pause, es ist etwa 8 Uhr - das Vieh grast und ist sichtlich zufrieden ob der nahrhaften Gräser. Die Talwiese ist fruchtbar, gut "durchwässert" und zeigt nur eine einzige Kriegsspur: eine tiefe Mulde in der Mitte, die aber umzäunt ist und mich magnetisch anzieht. Was mag da wohl sein? Ansonsten herrscht hier im weiten Tal Ruhe, nur der Bahnverkehr ist zu hören.
Ich unterhalte mich derweil mit Malarbeiten und einem Würfelspiel, das im Rucksack jeden Tag hin und her befördert wird. Als Nahrung für rund acht Stunden dienen ein paar "Bottichen" (Butterbrote), belegt mit Sirup oder hausgemachter Marmelade und zwei Äpfel, ferner im Rucksack: Regenkleidung sowie zwei Flaschen "Kranenberger" (mit Birresborner Limonaden-Etikett) und drei bis vier Brausetütchen. Diese gab es damals in vier Geschmacksrichtungen (so etwas vergisst man wohl nie, oder?): Himbeere, Waldmeister, Zitrone und Orange. Außergewöhnlich schmackhaft in einer Zeit, in der von Cola und Haribo noch keine Rede war.


Vier Stunden später läutet es "zu Mittag" - es ist 12 Uhr. Mein Denken: Die Hälfte ist fast geschafft - obwohl mir damals jedes Zeitgefühl fehlte. Das Hüten der Tiere war ein Selbstlauf, man hatte viel Zeit, aber kaum gute Unterhaltung. Ausnahmen gab es trotzdem: Ein Angler, mir völlig fremd, überquerte die Wiese, zog zu der besagten "Prümkurve" und warf seine "Schmack" aus. Ich beobachtete das Treiben ganz genau, dachte… hey, das ist meine Wiese… was willst du hier? Erst als er mich freundlich ansprach und mir ein - man höre - Lackritzröllchen anbot, hatte er gewonnen! Er selbst grapschte in seine Manteltasche und schnitt sich einige Schnitten vom weißen Speck ab, nahm dazu ein Brot und goss einen Schnaps hinterher.
Meine Nachmittagszeit vergeht, immer wieder rattern im 30-Minuten-Takt die Dampfrösser der Bahn durch das stille Tal - lassen hier und mal Luft ab und schreien laut. Der Klang verstärkt sich, ja wird verdoppelt durch den Widerhall des Bergrückens "Auf Hungert".


Um 5 Uhr pirsche ich durch die Wiese, sammle meine kleine Herde und sage wieder "Hopp-hopp"! Die übersatten Kühe wackeln mit mir durch die Bahnhofstraße, sie verlieren teils Milch ob des Hin und Her auf der Buckelpiste, biegen vor der "Parier" links in die Dorfstraße ein, gehen geduldig bis Haus Nr.66 und finden derweil ihre Plätze im Stall blind.
Der Vater lässt sie "zur Ader" - die Milch sprießt in Strömen in den Eimer. Danach kommt wieder der Hütejunge "an die Reih": er darf loslegen mit der Zentrifuge, um Rahm und Milch zu trennen. Eine gute Gelegenheit, .


Ein gut gefüllter Tag geht zu Ende. Ich gehe zum Freund hinüber, wir spielen noch eine Runde mit den Murmeln.

 

Textauszug aus den "Eefeler Verzellcher"
Text: Joachim Schröder

 


Meistgelesen