Julia Borsch

Gemeinsam gegen Suizid - Prävention ist unsere Verantwortung

Region (jb). Heute, am 10. September, ist Welttag der Suizidprävention. Aus diesem Anlass hat der WochenSpiegel ein Interview mit der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) geführt.

Von Julia Borsch

Jedes Jahr sterben weltweit fast 800.000 Menschen durch Suizid. Aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass im Jahr 2023 allein in Deutschland 10.300 Menschen Suizid begangen - das entspricht fast 28 Menschen pro Tag. Diese erschütternde Statistik unterstreicht die Dringlichkeit von Maßnahmen zur Suizidprävention. Im Jahr 2003 riefen die Internationale Vereinigung für Suizidprävention (IASP) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den "Welttag für Suizidprävention" am 10. September ins Leben. Ziel ist, das Bewusstsein für dieses hochkomplexe und sensible Thema zu schärfen, eine gemeinschaftliche Verantwortung zu übernehmen, das Thema zu enttabuisieren und das Stigma um psychische Erkrankungen zu reduzieren.

 

Ein komplexes Phänomen

Suizid ist ein komplexes Phänomen, das nicht per se auf einen einzelnen Grund zurückzuführen ist, sondern als Gipfel einer Vielzahl von Faktoren bezeichnet werden kann. Eine effektive Suizidprävention erfordert einen mehrdimensionalen Ansatz. Dazu gehören Aufklärung und Sensibilisierung, Zugang zu Unterstützung und Behandlung, eine Reduzierung des Zugangs zu tödlichen Mitteln wie Waffen und Medikamenten, Unterstützung für Angehörige und Gemeinschaften sowie weitere Forschung und Datensammlung. Jede und jeder Einzelne kann einen aktiven Beitrag zur Suizidprävention leisten. Indem wir aktiv zuhören, empathisch sind und Unterstützung anbieten, können wir das Leben von Menschen in Not nachhaltig beeinflussen, und das auf positive Weise. Es ist wichtig, jedes noch so kleine Anzeichen von Suizidalität zu erkennen und dies auch anzuerkennen. Offene Gespräche über die psychische Gesundheit können zweifelsohne zur Enttabuisierung dieses Themas in unserer Gesellschaft führen. Negative Vorurteile, Diskriminierung und ein einfaches "Abwinken" von ernsthaften, psychischen Problemen, können Betroffene davon abhalten, sich Hilfe zu suchen.

Was aber sind typische Warnsignale für Menschen, die an Suizid denken? Welche Präventionsmaßnahmen gibt es? Der WochenSpiegel hat bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention nachgefragt. Lesen Sie nachfolgend das Interview mit Ute Lewitzka, Vorstandsvositzende der DGS.

 

Interview mit Ute Lewitzka (DGS)

Ute Lewitzka ist Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden.

In einer Gesellschaft, die so aufgeschlossen und weltoffen ist, verschließen leider immer noch viele Menschen die Augen vor der Realität: steigende Suizidraten im eigenen Land. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DSG) setzt sich aktiv für eine Enttabuisierung dieser wichtigen Themen ein.

 

WochenSpiegel: Wie setzzt sich die DGS aktiv für die Suizidprävention ein?

Ute Lewitzka: Die DGS setzt sich seit über 50 Jahren für die Suizidprävention ein. Sie ist eine trialogische Gesellschaft, in denen Experten, Professionelle Helfende, Angehörige, Hinterbliebene und Betroffene gleichermaßen vertreten sind. Der Vorstand arbeitet bis heute rein ehrenamtlich - alle Mitglieder haben andere und meist Vollzeit berufliche Beschäftigungen. Das macht es schwer, bestimmte Vorhaben, die wir beschlossen haben, umzusetzen. An Ideen mangelt es nicht, was wir hier alles noch tun könnten, aber die personellen und zeitlichen Ressourcen sind knapp. Seit diesem Jahr haben wir erstmalig eine Assistenzstelle der Geschäftsführung über eine Mini-Beschäftigung geschaffen, die zumindest einen Teil der organisatorischen Aufgaben erledigen kann. Das hilft schon mal. Ein Beratungsangebot können wir leider deswegen auch nicht machen, sondern müssen auf die bestehenden Hilfen verweisen, versuchen dennoch, eingehende E-Mails individuell zu beantworten. Darüber hinaus versucht die DGS mit ihrer Arbeit (und den Netzwerken) auch politische Entscheidungsträger zu informieren und diese immer wieder auf das Thema aufmerksam zu machen. Hier tut sich gerade etwas in Deutschland, was uns zuversichtlicher stimmt, allerdings wird diese Zuversicht durch die gerade laufende Haushaltsdiskussion sehr gedämpft.

WochenSpiegel: Was sind typische Warnsignale für suizidale Menschen?

Ute Lewitzka: Suizidale Menschen zeigen häufig veränderte Verhaltensweisen auf. Diese können beispielsweise ein Interessenverlust an zuvor erfreulichen Dingen, sozialer Rückzug, Veränderung von Schlaf- und Essgewohnheiten, andauernde Traurigkeit und Melancholie, selbstschädigendes Verhalten sowie der ungesunde Gebrauch von Substanzen und das konkrete Ansprechen von Suizidplänen sein. Allerdings gibt es auch immer wieder Betroffene, von denen die Hinterbliebenen nach dem Suizid sagen, dass es gar keine Veränderungen und Auffälligkeiten im Verhalten der Personen gab. Was in diesen Fällen passiert, wissen wir noch nicht genau.

WochenSpiegel: Was würden Sie einer Person raten, die denkt ihre Probleme seien nicht so "groß und bedeutsam" wie die von anderen Betroffenen?

Ute Lewitzka: Dass sie diese trotzdem versucht anzusprechen bzw. sich Hilfe zu holen. Gerade hierfür eignen sich die ganz niedrigschwelligen Angebote wie die Telefonseelsorge, verschiedene Chatangebote, Beratungsstellen, psychosoziale Krisendienste und ähnliches. All diese Angebote sind möglich, ohne sich dafür in eine psychiatrische Behandlung begeben zu müssen.

WochenSpiegel: Welche Hilfemöglichkeiten gibt es für akut suizidale Personen?

Ute Lewitzka: Das hängt von der jeweiligen Lage ab. Steht beispielsweise jemand auf der Brücke und will springen, müssen Notärzte und Rettungskräfte gerufen werden. Jemand der drängende Gedanken hat aber noch mit seinem Umfeld kooperiert, sollte entweder vom den psychosozialen Krisendiensten, den Hausärzten oder auch schon von einem Psychiater gesehen werden. An all diesen Stellen ist auch eine Akut-Vorstellung möglich (während der Sprechzeiten). Außerhalb der Sprechzeiten wäre es der ärztliche Bereitschaftsdienst oder eben doch der Dienstarzt in einer psychiatrischen Klinik. Man muss hier überhaupt keine Angst haben, denn ganz oft findet auch hier "nur" eine Krisenintervention ab und die Betroffenen gehen wieder nach Hause. Wenn eine stationäre Behandlung angezeigt ist, wird immer versucht, diese im Einverständnis mit dem Betroffenen freiwillig einzuleiten, eine Behandlung gegen den Willen darf nur in der ganz akuten Situation veranlasst werden und auch nur, wenn es keine andere Lösung gibt.

WochenSpiegel: Wie können Angehörige mit Suizidgedanken einer geliebten Person umgehen?

Ute Lewitzka: Vor allem nachfragen. Dabei sind die wichtigsten Grundsätze: bleiben Sie wertfrei und annehmend. Suchen Sie das Gespräch und fragen Sie nach. Wenn Sie das Gefühl haben, selbst nicht mit der Person sprechen zu können, dann bitten Sie jemand anderes, dies zu tun. Sein Sie da und hören Sie zu. Nehmen Sie sich Zeit und Ruhe für ein offenes Gespräch. Lassen Sie die Person erzählen, zeigen Sie Verständnis und versuchen Sie zu vermitteln, dass Sie sich ehrlich für das Wohlergehen der Person interessieren. Und abschließend: Sorgen Sie für sich selbst. Die Begleitung eines suizidalen Menschen kann belasten, ängstigen oder überfordern. Sprechen Sie mit anderen Personen und nehmen Sie selbst bei Bedarf Kontakt mit einem Hilfsangebot auf. Hilfsangebote, Informationen und Workshops finden Sie auch hier: www.suizidprävention-sachsen.de

Die Fragen stellte Julia Borsch

 

Hier erhalten Sie Hilfe

Telefonseelsorge, bundeseinheitliche Nummern

  • Telefon: 0800 111 0 111 (Evangelisch)
  • Telefon: 0800 111 0 222 (Katholisch)
  • Telefon: 116 123

Nummer gegen Kummer für Kinder & Jugendliche

  • Telefon: 116 111

Nummer gegen Kummer für Eltern

  • Telefon: 0800 111 0 550

Psychosoziale Notfallversorgung des Deutschen Roten Kreuz Kreisverband Bitburg-Prüm  im Eifelkreis

  • Die Notfallversorgung bietet Menschen eine Stütze, sei es durch Reden, Zuhören, Trösten, Beten oder ähnliches.
  • In akuten Notfallsituationen alarmieren Sie sofort die Rettungsdienste unter den bekannten Rufnummern 112 oder 110.

Psychiatrische Tageskllinik im Mutterhaus Trier

  • Telefon: 0651 647 3238

Kontakt zu Betroffenen über Selbsthilfegruppen: SEKIS Trier

  • Telefon: 0651 141180

AGUS Trier - Trauer nach Suizid für Angehörige und Freunde

Leistner-Haus (Gemeindepsychiatrisches Betreuungszentrum), Saarallee 6, Bernkastel-Kues:


 

 


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