Im Sprint durchs Leben
Eine eff.-Reportage aus dem Jahr 2022
Leichtgefallen ist Sophia Junk (23), mehrfache Deutsche Sprintmeisterin und Olympiakandidatin 2024, die Entscheidung nicht, mit gerade mal 15 Jahren vom beschaulichen Konz-Oberemmel ins 140 Kilometer entfernte Koblenz zu ziehen. »Was mache ich ohne meine Eltern, was mache ich ohne meine Freunde? Was ist, wenn ich auf der neuen Schule nicht zurecht komme?« — quälende Fragen, die sich die junge Frau unentwegt stellte. Doch die Möglichkeit, im nahen Umfeld der Sport-Eliteschule unter professioneller Anleitung bei der LG Rhein Wied trainieren zu können, und die Tatsache, dass der Vater in Koblenz stationiert und damit die familiäre Anbindung gesichert war, gaben schließlich den Ausschlag für ihren Wechsel. Die Idylle zerbrach jäh, als ihr Vater nur drei Monate später plötzlich und unerwartet starb. »Zwischen Diagnose und Tod lagen gerade mal 19 Tage«, erinnert sich Sophia. Der Sport half ihr durch die schwere Zeit.
Höhen und Tiefen
Es ist nicht die erste Krise, die Sophia hinter sich gelassen hat. 2014, ein Jahr vor dem Tod ihres geliebten Vaters, hatte sich ihr Trainer Winfried Weires bei einem Sturz über die Sportbande schwer verletzt und war seither querschnittsgelähmt. Plötzlich fehlte der persönliche Ansprechpartner und Sophia fiel in ein tiefes Loch. Ohne intensive Betreuung und Förderung fühlte sich die ambitionierte Sportlerin alleine gelassen. »Ich war frustriert und hatte keine Lust mehr zu trainieren«, beschreibt sie ihre damalige Situation. Einen Ausweg sah sie nicht. »Der nächst gelegene Leichtathletikverein war in Neuwied und damit 150 Kilometer entfernt. Das war organisatorisch nicht zu stemmen.« Dass sie beim Kadereröffnungslehrgang in Idar-Oberstein dem Trainer der LG Rhein Wied begegnet sei, mit dem sie offen über ihre Situation habe reden können, sei letzten Endes ein Glücksfall gewesen. Denn Martin Schmitz brachte genau das ins Rollen, was sich als die »beste Entscheidung ihres Lebens« herausstellen sollte.
Die Kontakte mit den Eltern waren schnell geknüpft, in vie- len Gesprächen das Für und Wider eines Schulwechsels diskutiert, bis Sophia schließlich die Entscheidung für sich selbst treffen konnte und den Sprung ins kalte Wasser wagte.
Eine Entscheidung, die sie bis heute nicht bereut hat. Und die Erfolge geben ihr Recht: 2015 gewinnt sie in der U18 und wird Deutsche Jugendmeisterin, 2017 erringt sie in der U20 ihre erste internationale Medaille mit Silber über 200 Meter und Staffelgold über 4 x 100 Meter.
Dass die Staffelmädchen bei der Europameisterschaft den Weltrekord knacken, ist die Sensation schlechthin. 2021 wiederholt Sophia die Erfolge sowohl im Einzel als auch mit der Staffel und läuft zugleich eine neue Bestzeit unter 23 Sekunden. Nur ein Ziel bleibt auf der Strecke: Die Qualifikation für die Spiele in Tokio verpasst sie um nur 0,07 Sekunden. Aber davon lässt sich Sophia nicht irritieren und peilt jetzt schon Olympia 2024 an. Dafür muss sie sich in diesem Jahr ganz besonders anstrengen, denn der Weltmeisterschaft in den USA folgen nur wenige Monate später die Europameisterschaften. »Mein Ziel ist es, an beiden teilzunehmen«, sagt die Athletin, wohlwissend, dass sie nun als Jüngste im Erwachsenenfeld antritt. »Da herrscht ein anderer Wind, da ist die Konkurrenz viel größer«, weiß sie und fügt
selbstbewusst hinzu: »Davor habe ich großen Respekt, aber keine Angst.«
Behütete Kindheit
Dass Sophia mit Stress gut umgehen kann, liegt nicht nur an der guten mentalen Betreuung durch ihren Verein, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass sie schon in der Kindheit ohne Druck Sport ausüben kann. Ob Kinderturnen, Schwimmen oder Jazztanz, die Eltern lassen ihr da freie Hand. »Ich hatte eine behütete Kindheit«, sagt Sophia, das Nesthäkchen der fünfköpfigen Familie und
Papas »Prinzessin«. Beim Vorbereitungstraining für die Bundesjugendspiele entdeckt ihr Sportlehrer ihr außergewöhnliches Talent. Weil sie ihren Altersgenossinnen buchstäblich davonsprintet, lässt er sie gegen die Jungs antreten. Auch da ist sie auf der Überholspur. »Das hat sich dann im Dorf rumgesprochen und irgendwann haben auch meine Eltern davon erfahren«, erzählt sie lachend.
Sophias Ehrgeiz ist geweckt und gemeinsam mit dem Nachbarjungen geht’s in den Leichtathletikverein der TG Konz. Werfen und Springen sind nicht ihre Lieblingsdisziplinen, aber im Sprint macht sie alles wieder wett. Bei den Meisterschaften ist ihr das oberste Treppchen fast immer sicher. 2014 schafft sie es in den Landeskader.
Sport als Lebenselixier
Sport ist für Sophia mehr als nur eine Leidenschaft. Er ist Berufung und Beruf. Wenn sie Anfang nächsten Jahres ihr Studium bei der Landespolizei Rheinland-Pfalz beendet hat, geht’s in Richtung Vollzeitsport. Darauf ist sie fokussiert, diesem Ziel ordnet sie auch ihr Privatleben unter. Eine typische Jugend mit Partys und Abhängen habe sie nie gehabt, sagt sie ohne Bedauern in der Stimme. »Bei mir gab es nur Training und Wettkampf.« Dafür brauche man ein gewisses Umfeld, Freunde, die ihre Art zu leben auch akzeptieren. Die eiserne Disziplin hat Sophia schon viele Erfolge beschert, sie aber auch beruflich und privat weitergebracht. Damit fühlt sie sich auf der sicheren Seite, denn »als die ganze Welt rechts und links zusammengebrochen ist, war Sport die Konstante in meinem Leben, die geblieben ist.«
Text: Edith Billigmann