Am Puls der Zeit - Edilia Gänz ist Europas wichtig(st)e Kulturmacherin
In Europa spielt sie in der Topliga mit: Edilia Gänz (34), aus Bernkastel-Kues stammend, seit über zehn Jahren in Paris ansässig, gehört laut »Forbes« zu den wichtigsten Kulturmacherinnen Europas.
»FEDORA« heißt das Kulturnetzwerk mit Sitz in Paris, dem die junge Frau als Direktorin vorsteht. Die internationale Oper- und Tanzplattform ist eine Non-Profit-Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, aufstrebenden jungen Künstlern durch eine Anschubfinanzierung zu helfen, neue Werke zu kreieren und sie dann auch aufzuführen. Dass es funktioniert, zeigen die neuesten Zahlen: Insgesamt wurden seither mit 6,5 Millionen Euro 75 Werke finanziert, die von über 500.000 Menschen gesehen wurden, und 2.000 Künstler gefördert. Als Qualitätssiegel fungiert die hochkarätig besetzte Fachjury aus bekannten Opern- und Ballettintendanten. Namen wie die der israelischen Choreografin Sharon Eyal und des mittlerweile in UK ansässigen Tänzers und Choreografen Hofesh Shechter stehen für den überwältigenden Erfolg vergangener Projektfinanzierungen.
Das Publikum von morgen
»Wenn 80 Prozent der Inhalte, die aufgeführt werden, von nur zehn Künstlern stammen, dann sieht man, dass es junge Komponisten und talentierte Choreografen extrem schwer haben, eine Bühne zu erhalten«, erläutert Edilia Gänz den Trend, der sich seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, abzeichnet. Gerade im Opernbereich gebe es eine starke Konzentration auf wenige Urheber und ältere Werke. »Bekannte Namen wie La Traviata ziehen das Publikum an und sorgen für ausverkaufte Häuser«, analysiert sie. Da in immer mehr europäischen Opernhäusern die staatliche Förderung wegfalle, laste auf den Opernhäusern ein unglaublicher finanzieller Druck. Diese Spirale zu durchbrechen, hat sich »FEDORA« zum Ziel gesetzt. »Es ist aber wichtig, neue Inhalte zu kreieren, die die Gesellschaft von heute abbilden«, sagt sie. »Wie sonst will man Innovationen gerade im Bereich der darstellenden Kunst schaffen? Wie will man junge Menschen an Oper oder Ballett heranführen?«
Hinter ihrer Idee stehen viele Wirtschaftsunternehmen, die sich mit diesem Anspruch identifizieren. Namen wie die des französischen Haute Joaillerie-Unternehmens »Van Cleef & Arpels«, der international tätigen Unternehmensberatung »Kearney«, der Anwaltskanzlei »Carlara International« und des Finanzberaters »The Silver Company« gehören seit vielen Jahren zu »FEDORAS« Unterstützern. »Wir sind für sie der Beweis, dass der Spagat zwischen Bewahrung von Tradition und Förderung von Innovation gelingen kann«, so Gänz weiter. Auch für Wirtschaftsunternehmen sei es durchaus ein Mehrwert und deshalb ein Antrieb, diesen Weg weiter zu verfolgen, Zeichen der Innovation und Zukunftgerichtetheit zu setzen und mit diesen Ideen die Generation von morgen an sich zu binden. In anderen Sparten, wie beispielsweise im Kino, sei das bereits gelungen. »Da gibt es ja schon den Hype auf neue Inhalte.«
Die Finanzierung
Neue Opern- und Tanzwerke, von der hochkarätigen Jury für gut befunden, erhalten eine Anschubfinanzierung. Dafür lobt »FEDORA« Wettbewerbspreise aus: pro Ausschreibung 100.000 Euro für die Oper- und Tanzkategorie und 50.000 Euro für die Education- und Digitalkategorien. Die Finanzierung erfolgt über private Sponsoren. Wichtiger Geldgeber ist seit 2017 das »Creative Europe Programm« der Europäischen Kommission.
Aufgeführt werden die Werke in ganz Europa. Mit über 130 Opernhäusern ist »FEDORA« vernetzt, hinzu kommen noch weitere wichtige Institutionen, wie beispielsweise das Mosel-Musik-Festival.>>
Werke in der Pipeline
Keine Innovation ohne Risiko – dessen ist sich Edilia Gänz bewusst. »Natürlich gibt es keine Garantie, dass es gelingt. Aber wenn es funktioniert, kann dabei etwas ganz Großes entstehen«, sagt sie begeistert. Gerade im Education- und Digitalbereich sei man nicht nur am »Puls der Zeit«, sondern zugleich auch Vorreiter sich abzeichnender gesellschaftlicher Entwicklungen. »Auf unserer Webseite sieht man die Ideen von morgen«, so die »FEDORA«-Direktorin. »Mehr noch: Bei uns sehen Sie die Werke in der Pipeline der nächsten zwei Jahre.«
»Musik und Ballett sind
Teil meines Lebens«
Musik, Theater, Ballett – sind Teile ihres Lebens, die sich die mittlerweile 34-Jährige seit ihrer Kindheit bewahrt hat. Die kulturelle Prägung sei bereits im Elternhaus erfolgt, den Löwenanteil hatten Mutter und Großmutter. Konzerte in der Philharmonie in Luxemburg und in Berlin, aber auch Aufführungen im Theater Trier sind tief in ihrem Gedächtnis verankert und haben sie geprägt.
Durch ihre Erfahrung als Ballettschülerin kennt sie die körperlichen und mentalen Herausforderungen. »Ich habe Hochachtung vor den Künstlern, die sich ihrem Lebenswerk widmen. Hochachtung vor ihrer unbeugsamen Disziplin, ihrer großen Leistung, ihrem hohen Verzicht.«
Eine Tanzkarriere habe sie für sich persönlich nie in Betracht gezogen. Aber sie sei Ballett und Theater stets verbunden geblieben, habe die Herausforderungen früh erkannt und die Möglichkeit
gesehen, eine Finanzierungsstruktur zu erarbeiten, die sich in der Kultur anwenden lasse. Und sie habe Glück gehabt.
Zur richtigen Zeit am
richtigen Ort
»Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort«, erzählt sie lachend. Nach dem Abitur am Cusanus-Gymnasium in Kues hatte sie in Mannheim BWL studiert, anschließend das Masterstudium in London und Paris absolviert. Ihr Pflichtpraktikum leistete sie in Paris bei Jean-Yves Kaced ab, dem Leiter der Fundraising-Abteilung der Pariser Oper. Ihre Aufgabe, in Zusammenarbeit mit dem ernannten Präsidenten Jérome-François Zieseniss einen Businessplan zur Wiederbelebung der »FEDORA«-Idee zu erarbeiten, erledigte sie mit Bravour. Der Auftrag zur Umsetzung der Konzeption folgte prompt und damit ein Jahresvertrag, der die damals 23-Jährige fest an den »FEDORA«-Gedanken binden sollte.
Aus der Idee ist mittlerweile eine europaweite Initiative geworden mit einer Frau an der Spitze, die gemeinsam mit dem neuen Präsidenten Stéphane Argyropoulos davon überzeugt ist, dass durch Kunst ein Dialog zwischen Menschen entsteht, der auch tiefe Konflikte überbrücken kann. Bestes Beispiel sei die Community: »Unsere Mitglieder schätzen sehr die Möglichkeit, im Anschluss an die Vorstellung mit dem kreativen Team sprechen zu können. Es findet ein lebender Austausch statt, bei dem sich Publikum und Künstler auf Augenhöhe begegnen.«
Die Pandemie als Chance
Die Pandemie als Chance zur Neuorientierung? »Ja«, sagt Edilia Gänz. »Die kreativen Teams waren ja weiterhin aktiv; es konnte komponiert und choreografiert werden und es entstanden ja auch weiterhin Werke. Nur die Aufführungen und Preisverleihungen mussten wir verschieben. In dieser Zeit haben wir uns mit der Thematik Transformation auseinandergesetzt. Nachhaltigkeit, Inklusion und digitale Transformation waren die drängenden Themen.«
Neuausrichtung mit den
»Next Stage Grants«
• Wie kann man Arbeitsweisen in einem Opernhaus innovativ gestalten?
• Wie kann man neue Projekte auf die Bühne bringen, aber nachhaltig produzieren?
• Woher kommen die Kostüme, wie werden sie produziert?
• Wo gibt es Schnittstellen zwischen Opernhäusern? Wo ist ein Austausch möglich?
• Wie inklusiv sind Opernhäuser und ihre Produktionen?
• Wie werden Talente identifiziert, wie gefördert?
• Wie divers sind die Teams?
• Was kann man tun, um beispielsweise Menschen zu helfen, die blind sind, aber trotzdem am Erlebnis Bühne und Backstage teilhaben möchten?
»Es waren Fragen, die gerade in dieser Zeit an die Oberfläche drängten. Mit den ‹Next Stage Grants› haben wir die Antwort gefunden«, erklärt Edilia Gänz die Initiative, die mit dem Partner Opera Europa ins Leben gerufen wurde: Mit den »Next Stage Grants« werden seit Covid Anschubfinanzierungen für Innovationen hinter der Bühne vergeben. Die Oper in Leipzig ist ein Beispiel dafür, wie der CO2-Abdruck einer Kostümabteilung gesenkt werden kann. Oder die Oper AsLiCo in Como, die die fehlenden einheitlichen inklusiven Regelungen in Kulturorganisationen hinterfragt hat, während diese Standards an Flughäfen selbstverständlich sind. »Genau das ist der Sinn und Zweck hinter den ‹Next Stage Grants›: Wir wollen einen Vorschlag erarbeiten, wie wir Standards vereinheitlichen können. Das sind die Projekte, die die nächsten, die neuen Industriestandards setzen. Wir fördern replizierbare Projekte«, erzählt Edilia Gänz begeistert.
Auch das finnische Opernhaus in Helsinki hat sich erfinderisch gezeigt und einen digitalen Zwilling kreiert, der es Technik-Teams wie der Lichtgestaltung ermöglicht, sich virtuell zu vernetzen und gemeinsam zu proben. Auf diese Weise können Ausrichtungen vorab getestet, angepasst und letztendlich der Prozess beschleunigt werden. Und es gibt auch die humane Komponente: »Ein Sänger mit Höhenangst soll in fünf Meter singen und dann sterben«, führt Gänz ein Beispiel plastisch vor Augen. »So hat er noch vor dem Bau des Bühnenbildes der Aufführung die Möglichkeit, mittels einer 3-D-Brille eine für ihn außergewöhnliche Situation zu proben. Höhen beispielsweise können auf diese Weise im Vorfeld auf das für ihn Zumutbare angepasst werden. Und auch die Musiker können sich dem anpassen.«
Doch die Corona-Zeit hat noch mehr gezeigt.
Dazu Edilia Gänz: »In schwierigen, existenziellen Zeiten greifen wir auf fundamentale Inhalte wie Musik, Gesang und Tanz zurück. Man merkt, dass diese Bereiche zum Leben gehören. Das Beispiel der dementen ehemaligen Prima Ballerina, die ihre Arme im Takt der Schwanenseemusik bewegt hat, zeigt doch, dass Musik gefühltes Leben ist und dass darüber Erinnerungen abgerufen werden können.«