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Andreas Bender

Pro Rheintal: Lärmschutz ist in Deutschland ein Fiasko

Mittelrhein. Zum heutigen Tag gegen Lärm (24. April) fasst das Bürgernetzwerk Pro Rheintal noch einmal zusammen was im Lärmschutz nicht stimmt.

Wie hier im Rheintal protestieren Bürgerinitiativen dafür, endlich die Geschwindigkeit im Bereich der Wohnsiedlungen zu senken.

Wie hier im Rheintal protestieren Bürgerinitiativen dafür, endlich die Geschwindigkeit im Bereich der Wohnsiedlungen zu senken.

Bild: Pro Rheintal

Lärmschutz ist in Deutschland ein Fiasko, betont das Bürgernetzwerk Pro Rheintal: Überlaute Strecken, die als "leise" bezeichnet werden, Flüsterbremsen, die nicht "flüstern", EU-Schutzrechte, die deutsche Lärmschutzrechte wieder aufheben, und Politiker/innen, die offenbar gar nicht verstehen, was sie hier entscheiden, und "Gesundheit und Geschwindigkeit" aus ihren Überlegungen ausklammern.

 

Die Pressemeldung des Bürgernetzwerks führt aus, wo es nach Meinung von Pro Rheintal hakt:

 

"Wer sich in diesen Tagen über Sinn und Widersinn von Politik Gedanken macht, dem liefern Politiker und Politikerinnen in Berlin und Brüssel beim Lärmschutz Musterbeispiele der Absurdität. Seit Jahrzehnten sind die faktischen Mängel im Lärmschutz bekannt. Schon 2014 stand im damaligen Koalitionsvertrag, man wolle alle Lärmquellen berücksichtigen und den Lärm an der Quelle eindämmen, so wie es das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) vorsieht. Die Berechnungsmethoden mit A-Filter und Mittelungspegel sind ebenso unsinnig wie ungeeignet, weil sie keine medizinische Relevanz besitzen und keine Aussage über den Gefahrenlevel treffen, der von der jeweiligen Lärmquelle ausgeht.

 

Auch die immer noch geltende Bestandsschutzregelung führt zum Beispiel auf den Europäischen Güterverkehrskorridoren dazu, dass bestimmte Abschnitte vollen Schutz erfahren, während andere Abschnitte mit vergleichbarem Verkehr überhaupt keinen Schutzanspruch haben (wie beispielsweise das Mittelrheintal). Dem Deutschen Bundesrat liegt jetzt wieder ein Regelungs-Entwurf zum Schienenlärmschutzgesetz vor, in dem es darum geht, die geltende deutsche Rechtsnorm durch eine europäische Verordnung (Durchführungsverordnung [EU] 2019/774) zu ersetzen. Diese Verordnung kennt weder Auslöse- noch Grenzwerte und hat nur für sogenannte "leise Strecken" Gültigkeit. "Leise Strecken" sind dabei solche, auf denen nachts durchschnittlich mehr als zwölf Güterzüge verkehren. Die lauten Haupteisenbahnstrecken mit hunderten von Zügen werden somit per Definition künftig "die leisen Strecken" genannt!

 

Das sogenannte Schienenlärmschutzgesetz, um das es hier geht, spricht ein "Verbot für laute Güterwagen" aus. Die Zuschreibung "laute Güterwagen" hat aber überhaupt nichts damit zu tun, wie laut ein Güterwagen sein darf, sondern es geht lediglich darum, dass den Betreibern und Waggonhaltern dafür, dass sie sich zwei Jahrzehnte Zeit genommen haben, um ein paar neue Bremsklötze für ihre Waggons anzuschaffen, jetzt das Prädikat "Leiser Güterwaggon" verliehen wurde. Durch die Umrüstung produzieren die Waggons zwar anfänglich etwas weniger Rauschen, doch im Schnitt bleiben diese alten Waggons bei voller Fahrt 40 dB zu laut!

 

Man braucht kein Experte zu sein, um zu verstehen, dass Lärm und Geschwindigkeit in einem direkten Zusammenhang stehen. Wenn Güterzüge mit 100 Stundenkilometern durch Wohngebiete rasen, dann ist das durch keine noch so wirksame Lärmschutzmaßnahme erträglich zu gestalten und gleichzeitig so gefährlich wie ein Bombentransport. Wer nur die langsam einrollenden Personenzüge auf Großstadtbahnhöfen kennt, macht sich keinen Begriff davon, was es bedeutet, wenn eine Mutter mit ihrem Kinderwagen auf einem der Bahnhöfe im Rheintal steht und ein Güterzug mit Tempo 100 km/h in weniger als zwei Meter Abstand an ihr vorbeischießt. Einen leeren Kinderwagen, das zeigt die Erfahrung, reißen der Sog und die Turbulenzen, wie sie insbesondere Güterzüge verursachen, einfach mit. Noch weniger vorstellen kann man sich offenbar, was es bedeutet, wenn in einem ansonsten fast geräuschlosen Tal nachts plötzlich ein 100 km/h schneller Güterzug wie eine Lärmbombe mit 100 Dezibel explodiert. Da sind Herzinfarkte vorprogrammiert.

 

Der unmittelbare Zusammenhang (Kausalität) zwischen Lärm und Krankheit ist, ähnlich wie bei Schadstoffemissionen und Klimaschutz, eine tickende Zeitbombe. Im Mittelrheintal, das nach dem Bau der ICE-Strecke Köln - Frankfurt, zur Europäischen Güterverkehrstrasse ausgebaut wurde, erleben die Menschen jetzt seit über zwei Jahrzehnten diesen höllischen Güterzug-Nachtlärm. Viele Anwohner sind bereits daran erkrankt oder verstorben, was Untersuchungen von Medizinern wie Prof. Eberhard Greiser (Bremen), Prof. Thomas Münzel (Mainz), und Prof. Manfred Spreng (Erlangen) belegen. Politiker berufen sich darauf, im Mittelrheintal bereits die unterschiedlichen Lärmschutzmaßnahmen durchgeführt zu haben. Dass dies nicht funktioniert hat, kann jeder, der das Tal besucht, selbst hören und sich von den Anwohnern bestätigen lassen.

 

Pro Rheintal hat die Aussagen von mehr als 2000 Betroffenen in einer Studie zusammengetragen und im Bürgerbuch Bahnlärm dokumentiert und ausgewertet. Bis heute hat diese Publikation traurigerweise nicht eine einzige Politikerin oder einen einzigen Politiker interessiert. Beim Thema Bahnlärm gilt offenbar der Maulkorb, den seinerzeit Bahnchef Hartmut Mehdorn der gesamten Bahn-Belegschaft verordnet hat, inzwischen auch für Bund und Länder. Wie anders ist es zu erklären, dass man die ganz entscheidenden Faktoren zu diesem Thema, nämlich Gesundheit und Geschwindigkeit, in der Diskussion vollkommen ausklammert. Dabei ist völlig klar: Es kann keinen wirksamen Lärmschutz geben, wenn man sich nicht an medizinischen Kriterien orientiert und den Hauptfaktor des Lärms, nämlich die Geschwindigkeit, zumindest im Bereich der Wohnbebauung begrenzt. Gegen 100 Dezibel bei 100 km/h ist überhaupt kein Kraut gewachsen.

 

Es ist auch nicht so, als wüssten unsere Politiker nichts von alledem: Auf dem LärmKongress 2023 in Stuttgart unter dem Leitgedanken "Gesundheit konsequent schützen" haben Vertreter der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz den Bund aufgefordert, bessere Rahmenbedingungen zum Schutz vor Verkehrslärm zu schaffen. Unter anderem fordern die Länder darin den gleichen Schutz für Neu- und Ausbaustrecken, wirkungsgerechte Emissionsvorgaben, einen Anspruch auf Lärmschutz, verbindliche Grenz- und Auslösewerte sowie - man höre und staune - "Tempolimits zum Lärmschutz". Doch auch diese Vorsätze blieben wieder nichts als "Sonntagsreden", weil die allumfassend bestimmende Wirtschafts- und Finanzlobby auch bei der Bahn bestimmt, wo die Steuergelder hinfließen."

 

Der inzwischen 27. Tag gegen Lärm ist somit erneut kein "Tag für die Menschen"- denn bisher ändert sich nichts, remümiert das Bürgernetzwerk Pro Rheintal.

 

 


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